Podcast

Retrospektiven

Nur nicht von der Stange

Wer Software im Team entwickelt, kennt sie: Retrospektiven. Doch was macht eine gute Retro aus? Gibt es Methoden jenseits von „Inspect and Adapt”? Melanie und Hermann sprechen über ihre Erfahrungen als Facilitator, über Kreativitätstechniken, was es mit Spannungen auf sich hat und warum es sich lohnt, mehr Verantwortung ans Team zu übertragen.
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Melanie Schäfer Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Episode des INNOQ Podcasts. Heute zum Thema Retrospektiven, mit mir, Melanie Schäfer. Ich arbeite als Consultant bei INNOQ im Bereich Agile Coaching und helfe anderen Unternehmen bei der digitalen Transformation. Und ich habe heute im Podcast die Ehre, mit Hermann zu sprechen. Hallo Hermann, hast du Lust, dich kurz vorzustellen?

Hermann Schmidt Servus, Melli! Ich bin der Hermann Schmidt, Senior Consultant bei INNOQ. In meinem ersten Leben war ich Entwickler und Architekt oder wie man es immer nennen will und vor drei Jahren, genau vor der Corona Pandemie, dachte ich mir, ich müsste mal meinen Beruf ein bisschen ändern und bin dann in die Richtung Facilitation geschwenkt. Auch Innovationstechniken interessieren mich und habe damit gearbeitet. Ja, so schaut’s aus und deshalb sitzen heute und reden über Retros und nicht übers Programmieren.

Melanie Schäfer Was mich auch ziemlich freut, weil mit Retros darf ich mich auch öfter mal beschäftigen. Also, können wir eine kleine Runde daraus machen, wie wir beide Retros leben.

Hermann Schmidt Kaffeekränzchen, genau.

Melanie Schäfer Sehr schön. Ich denke, der größte Teil unserer Hörerschaft ist Entwickler. Und die werden bestimmt irgendwas mit Retros am Hut haben. Woher kommt es eigentlich? Irgendwie aus Scrum.

Hermann Schmidt Retro. Es ist jetzt kein ganz neues Konzept, aber die Regelmäßigkeit, dass man das in regelmäßigen Abständen macht, ist tatsächlich Scrum. Populär gemacht, weil du nach dem Sprint erst mal wieder die Review hast und dann die Retro. Das sind immer diese Standard Termine nach dem Sprintintervall. Und dieses Prinzip ist nicht nur auf Scrum begrenzt. Das kannst du immer machen, egal welche Art von Prozess du drehst. In regelmäßigen Abständen eine kleine Retro machen ist sehr gut. Bei mir ist es sogar so, dass ich das in noch kürzeren Abständen als die üblichen zwei Wochen machen würde. Ich bevorzuge sogar eine Woche.

Melanie Schäfer Ja, ich hatte auch die Zertifizierung zur Kanban Management Professional gemacht und da hatte ich auch gelernt, dass man natürlich Retros in dem Entwicklungsprozess etablieren sollte. Und manche Menschen gehen davon aus, dass das nur bei Scrum der Fall ist. Aber das ist einfach falsch.

Hermann Schmidt Das ist komplett falsch.

Melanie Schäfer Und die Retros finde ich gerade auch so wichtig. Von den kurzen Zyklen und Feedbackschleifen, von denen du da geredet hast, das finde ich auch ziemlich interessant.

Hermann Schmidt Weil, warum soll ich denn jetzt zwei oder drei Wochen warten, bis das, was mich stört im Ablauf, im Team, dass ich das sagen darf? Es gibt doch keinen Sinn. Je früher ich damit raus kann, desto besser ist es doch. Wenn ich nach drei Wochen komme, dann ist es vielleicht schon vorbei. Ich habe es entweder verdrängt oder es hat sich anderweitig hintenrum gelöst. Das ist doch besser, ich bringe es gleich auf die Tapete und rede mit den ganzen Leuten darüber.

Melanie Schäfer Und ich weiß manchmal auch gar nicht mehr, was vor drei Wochen eigentlich geschehen ist. Mir fällt es manchmal schon schwer nachzudenken, was ich vor drei Tagen gegessen habe.

Hermann Schmidt Kurze Feedbackzyklen und alles schön im Fluss halten. Das ist generell meine Auffassung, wie man so einen Prozess überhaupt laufen lassen soll. Deshalb kommt das Thema Scrum jetzt auch weiter nicht mehr vor. Auch in meinem meiner Blogpost Reihe, die wir hier noch gar nicht erwähnt haben, die müssen wir jetzt mal kurz unterbringen. Die gibt INNOQ bei den Blogs eine siebenteilige Reihe geschrieben über alles, was ich in den letzten zwei Jahren beim Kunden so alles erlebt habe und entwickelt habe.

Melanie Schäfer Ja, und das war auch noch mal der Anlass für diesen Podcast, jetzt endlich mal darüber zu sprechen.

Hermann Schmidt Ja, genau, ein bisschen Propaganda machen schadet nichts.

Melanie Schäfer Sehr schön. Dann hattest du eben in deiner Blogpost Reihe ganz am Anfang verschiedene Grundsätze. Wir könnten uns jetzt noch einen witzigen Namen überlegen, aber da bin ich gerade unkreativ. Auf jeden Fall hast du sieben Grundsätze für deine Retrospektiven aus deiner jahrelangen Erfahrung da mitgenommen. Und eines der Grundsätze ist: Die Retro ist ergebnisoffen.

Hermann Schmidt Das klingt jetzt erst mal unvertraut. Ich muss aber eins kurz vorweg stellen. Es gibt nicht die eine Retro, sondern man muss nach meiner Ansicht nach drei verschiedene Arten von Retros unterscheiden. Da ist zum einen Mal diese regelmäßige Retro, über die wir heute fast ausschließlich reden, die in kurzen Intervallen immer wieder kommt. Da gibt es die ganz seltene Riesen Retro, die zum Beispiel am Ende von einem Projekt als post mortem, wenn es schlecht klingen soll, einem ganz langen Abschnitt zum Schluss noch mal kommt. Du hast da natürlich eigentlich gar keine Möglichkeit mehr, irgendwas zu verändern, weil das Ding ist schon durch. Du lernst einfach insgesamt aus dem ganzen Projekt noch mal für das nächste Projekt. Das ist ein Riesen Feedback Loop. Über die reden wir eigentlich gar nicht, oder selten. Und das kannst du auch in bisschen kleinere Abschnitte machen, jeden Monat oder alle zwei Monate im Projekt, in größeren Abständen. Aber wir befassen uns hier hauptsächlich mit der kurzfristigen Retro, die alle ein, zwei Wochen stattfindet. Und da ist es so, dass du nicht nach bestimmten Dingen suchst. Du machst Retro, um Dinge erst einmal überhaupt zu finden. Es gibt sicher auch die Auffassung, dass eine Retro immer ein Ziel haben soll. Es ist bei den kurzen Retros, die im Prozess mitlaufen gar nicht der Fall. Ich will etwas herausfinden, ob es überhaupt was gibt, über das man reden muss.

Melanie Schäfer Allein dieser Effizienzzwang, den wir in unserer Zeit ganz oft verfolgen. Immer muss irgendwas rausfallen.

Hermann Schmidt Ja, das habe ich am Anfang auch ganz stark gehabt, weil ich es nicht anders gekannt habe und auch von der Scrum-Lehre so kenne, dass man da Inspect and Adapt machen soll. Und wenn die Retro nichts rausfindet, ist die Retro sinnlos gewesen. So kommt es einem vor. Aber es ist totaler Unsinn, weil das spielt überhaupt keine Rolle, über was da geredet wird. Hauptsache du findest irgendwas. Deshalb stelle ich mich bewusst gegen diesen Effizienzzwang von Retros und sage einfach: Was rauskommt, kommt raus, fertig. Und wenn alles okay ist, dann ist alles okay. Ich kann aber nach zwei Jahren sagen, dass immer irgendwas rauskommt. Du kannst dich darauf verlassen, es ist immer irgendwas. Und da braucht man sich kein Stress machen.

Melanie Schäfer Das war wahrscheinlich auch am Anfang der Zeit, wo man dann doch noch ein bisschen unsicher war. Wie moderiert man das? Da braucht man so ein Stück Sicherheit und ein Ergebnis. Oder dieses Ziel ein Ergebnis zu haben nimmt schon mal ein bisschen die Unsicherheit eigentlich weg.

Hermann Schmidt Das nimmt ganz gewaltig Stress vom Facilitator selber und auch vom Team. Weil ich kenne das aus meiner Entwicklungszeit, da bist du in die Retro reingegangen und hast gedacht: Hoffentlich kriegt jetzt kein Job auf Prompt. Dann mussten zwanghaft immer irgendwelche Jobs verteilt werden. Da kommen wir auch noch dazu. Das ist auch noch ein Punkt. Es spielt da mit rein, aber ich bin da ganz groß der Ansicht, es muss einfach einen Raum geben in dieser ganzen Effizienzspirale, in einem Projekt, wo es nicht darauf ankommt, effizient zu sein, sondern wo man Platz hat, über Sachen zu reden, die nirgends woanders Platz haben. Alles, was man will, darüber reden und der Effizienzgedanke muss da überhaupt keine Rolle spielen. Das gibt es praktisch als Geschenk der Effizienz.

Melanie Schäfer Sehr gut. Du hast jetzt gerade schon gesagt, letztendlich kommt ja schon auch immer wieder was raus. Aber, was, wenn es jetzt nur einmal kommt?

Hermann Schmidt Ein sehr guter Punkt. Ich habe festgestellt oder bin zu der Einsicht gekommen, dass wenn was wichtig ist, kommt es von selber wieder. Dadurch, dass wir uns so oft treffen, verschwinden die wichtigen Dinge nie. Die kommen wieder zurück, falls es nicht passiert ist. Wenn man irgendwas feststellt, in dem Thema Konsens hat: Da machen wir jetzt das und das. Und es ist nicht passiert. Dann kommt es beim nächsten Mal wieder. Und da kommen wir gleich zum nächsten Punkt. Ich führe keine Listen mit Aufgaben als Facilitator für die Retro. Weil es gibt nur eine Liste mit Aufgaben, die nennt sich Backlog und da sind die Aufgaben drin, die es zu priorisieren gibt. Und da kann ich jetzt nicht als Facility nebenher noch eine Hausaufgabenliste haben, mit der ich dann jedes Mal das Team nerve und sage: Habt ihr das gemacht? Habt ihr das gemacht? Ihr wolltet es machen, habt ihr es wirklich gemacht? Das ist total albern. Das habe ich am Anfang auch gemacht, weil ich es aus Beobachtungen nur so erlebt habe. Immer so nachgeschaut beim nächsten Mal. Wie schaut es damit aus? Irgendwann habe ich gemerkt, man braucht es gar nicht.

Melanie Schäfer Jetzt gehst du dann nicht her und sagst: Wir haben doch gestern in der Retro darüber gesprochen, wollen wir das gemeinsam ins Backlog einpflegen?

Hermann Schmidt Das mache ich in der Retro, da stellen wir fest: Das ist eine wichtige Aufgabe, die ist größer. Da haben wir uns darauf geeinigt, müssen wir planen. Zack. Dann kommt es in ein Ticketsystem in das Backlog rein. Und dann ist es eine ganz normale Aufgabe neben allen anderen Aufgaben und geht durch einen normalen Prozess durch. Da komme ich daher und verwalte meine eigene Aufgabenliste, das ist Blödsinn. Und wenn es andere Sachen sind, machen wir es im Daily mal anders, dann machen wir das am nächsten Tag gleich. Da hat man sich darauf geeinigt und wird sofort gemacht. Wenn es nur mal so hingesprochen war und es interessiert eigentlich niemanden. Dem Team ist es eigentlich relativ wurscht, dann verschwindet es von selbst wieder. Da muss ich mich nicht damit herumquälen und dann feststellen: Naja, eigentlich wollten sie es doch nicht machen.

Melanie Schäfer Manche Dinge sind vielleicht auch nur dem Zahn der Zeit geschuldet. Dass irgendein Stakeholder vielleicht doch mal ein bisschen lauter geworden ist, man irgendwie gemerkt hat: Der will das jetzt ein bisschen dringender. Und man dann anfängt, über andere Sachen auf einmal nachzudenken. Und vielleicht ist es dem Stakeholder aber in der Woche später gar nicht mehr so wichtig.

Hermann Schmidt Das kann auch passieren.

Melanie Schäfer Und dementsprechend verändern sich natürlich auch die Ideen. Oder je nachdem wie die Team Konstellation ist, kann ich mir auch vorstellen, dass sich Ideen immer wieder verändern können. Wenn es dann wirklich im Gesamt-Team wichtig wäre, dann würde es immer wieder kommen.

Hermann Schmidt Oder sofort erledigt, wenn man es einsieht. Wenn die Einsicht im Team da ist, dann wird es gemacht. Dann drückt sich auch keiner rum. Die Retro soll, wie viele andere Dinge im ganzen Prozess, die Aufmerksamkeit auf wichtige Dinge lenken, die jetzt wichtig sind. In einem Prozess hast du alle möglichen Mechanismen, um Aufmerksamkeit zu lenken. Irgendwelche Flags oder Routinen, Rituale. Retros sind auch nicht anders. Da wird auch in dem Moment Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge gelegt und die wichtigen bleiben übrig und die unwichtigen fallen hinten runter. Genau so soll es sein.

Melanie Schäfer Und dafür gibt es eben Punkt 3, eben nur einen Backlog, den wir gerade schon erzählt haben.

Hermann Schmidt Das ist nicht nur für die Retro wichtig, sondern überhaupt im Prozess. Es gibt nur einen Backlog und es gibt keine Seiten Jobs, To Do-Listen oder Seiteneingänge ins Team, wo man Aufgaben verteilt. Es geht schon über die Retro hinaus, aber das ist ein Grundsatz, den man eigentlich immer einhalten sollte. Dass es nur einen Eingang ins Team gibt. Und der geht durchs Backlog durch. Das haben wir jetzt eigentlich gerade vorhin zu genügen besprochen.

Melanie Schäfer Finde ich auch. Aber was du jetzt zuletzt erzählt hattest, fand ich jetzt auch noch mal interessant, weil du gesagt hast, es ist wichtig, immer darauf zu schauen, was passiert gerade? Aber in deinem vierten Grundsatz sagst du: Retro ist ein Instrument, um in die Zukunft zu schauen.

Hermann Schmidt Ja, das ist auch wichtig. Das Wort Retro ist eigentlich unglücklich. Das passt auch zu einem Zwei-Wochen oder Ein-Wochenrhythmus ist ja kaum Re, das ist praktisch jetzt. Das ist gerade das Gute, weil diese schnellen Intervalle helfen einem in der Gegenwart zu bleiben. Und man muss sich nicht mühsam an was erinnern, was früher mal passiert ist, weil nach einer Woche ist alles noch präsent, nach zwei geht es auch noch einigermaßen, aber danach verdünnt es sich langsam. Und der Anspruch von der Retro muss immer sein, dass man nicht auf der Vergangenheit sitzen bleibt und sich dreht. Ich muss immer in die Zukunft schauen. Was mache ich jetzt damit? Was lerne ich daraus? Was ist Handlung? Was ist handlungsweisend? Was an dieser Erkenntnis gibt mir Handlungsanweisungen für die Zukunft? Und nicht einfach die Gegenwart betrachten und feststellen: So war es eigentlich nicht. Sondern: Was bedeutet es jetzt? Was machen wir in der Zukunft daraus? Was habe ich daraus gelernt?

Melanie Schäfer Und das führt mich eigentlich auch gleich zum fünften Satz von dir, dass wir Negatives immer ins Positive drehen. Weil, wie du sagtest, wir denken jetzt über Dinge nach, die wir in der Zukunft verändern und Veränderungen sollten positiv sein, kann vielleicht auch manchmal wehtun. Aber das, was jetzt vielleicht blöd läuft, können wir hoffentlich ins Positive verändern und verbessern.

Hermann Schmidt Mindestens sollte man sich ein positives Bild machen, selbst wenn man selber nicht die Möglichkeit hat, etwas zu verändern, weil einfach die Mittel fehlen. Trotzdem sollte man immer sagen, wie man es haben will. Das ist das absolute Minimum. Und dann kann man in der Gruppe noch darüber nachdenken, ob es nicht doch irgendwo was gibt, was man tun kann, dass es besser wird. Und einfach nicht immer in dem Negativen. Das ist so einfach sich über was Negatives auszulassen und sich da richtig schön reinzuwälzen. Das ist total einfach. Aber die Aufgabe muss sein, es zu drehen, ein positives Bild zu schaffen und dann gemeinsam zu überlegen, was wir denn machen können, um dem Bild ein Stück näher zu kommen. Und das sollte man immer im Kopf halten, dass das eigentlich die Aufgabe ist in so einer Retro.

Melanie Schäfer Wenn wir das gemeinsam überlegen, dann kommen wir auch schon zu deinem nächsten Satz: Die Retro fördert Dialoge. Und das finde ich so wichtig im Entwicklungsprozess miteinander zu reden und auch diesen ergebnisoffenen, freien Raum zu haben. Das sind für mich auch die wichtigsten Dinge in einer Retro und zusammen an einem Ziel zu arbeiten.

Hermann Schmidt Jetzt war auch die letzten zwei Jahre fast alles remote. Seit Corona hat sich die ganze Projektarbeit dramatisch verändert. Das kennen sicher alle, die in der Entwicklung oder in der Beratung tätig sind, dass man jetzt immer mehr zu Hause sitzt oder fern vom Rest des Teams. Und da fehlt einfach der Raum, sich mal miteinander zu beschäftigen. Und es ist leider so, dass du in der Remote Zeit alles zeitlich organisieren musst. Es gibt kaum mehr Spontanität. Und die Retro ist ein Fleck, auf dem Kalender wo du sagst: Da ist jetzt Zeit. Da kommen jetzt alle her und da ist Zeit für uns. Weil du kriegst gar keine Gelegenheit dazu. Wenn du in einem gemeinsamen Büro sitzt, zu fünft, sechst, siebt, kein Problem, da bist du immer beieinander. Aber das gibt es eigentlich gar nicht mehr. Ich habe das eigentlich noch nie erlebt, das ist schon Jahre her, dass ich mal mit dem ganzen Team in einem Büro saß. Das gibt es praktisch nicht mehr. Und deshalb ist es so wichtig, sich einen Platz im Kalender zu schaffen, wo alle da sind und über alles reden können, was ihnen wichtig ist.

Melanie Schäfer Quasi eine aktive Teambuilding Maßnahme.

Hermann Schmidt Teambuilding heißt miteinander über Dinge reden. Und wenn man sagt Team. Du hast erst mal eine Gruppe von Leuten, die in ein Projekt gesteckt werden, weil die irgendwas können, was man braucht in dem Projekt. Es heißt noch lange nicht, dass daraus ein Team wird. Eine Gruppe ist nicht das Gleiche wie ein Team. Eine Gruppe ist erst mal nur ein Haufen Menschen. Ein Team wird es dann, wenn die sich wirklich miteinander beschäftigen. Und da ist die Retro auch ein wichtiger Baustein dazu.

Melanie Schäfer Auf jeden Fall. Ich versuche da am Anfang immer kleine Eisbrecher Fragen auch erst mal mitzunehmen oder irgendwelche lustigen Fragen, was mir gerade am Tag einfällt. Ich mache immer relativ spontan, das ist eigentlich immer die schönste oder die lustigste Zeit, weil jeder irgendwie von sich erzählt, aber auch mal von sich selbst und nicht nur über die Arbeit, wie läuft unser Prozess? Gut, schlecht. Aber so was bleibt auch total auf der Strecke, meiner Meinung nach. Und das versuche ich da auch immer mit reinzubringen.

Hermann Schmidt Ja, das braucht es auch. Es gibt verschiedene Formate. Und ein Aspekt muss immer Abweichen aus der Arbeit. Ich habe so ein Work Life Balance Ding, da erzählen Leute vom Urlaub oder dass sie das Haus renovieren. Das mache ich allerdings zum Schluss. Es ist wichtig, dass die Sachlichkeit nicht so dominant ist. Vor allen Dingen, wenn das Team neu ist. Da muss man einfach ein bisschen Piano machen und nicht gleich mit Vollgas reingehen und es sich nach Arbeit anfühlen lassen.

Melanie Schäfer Das stimmt. Und weil ich noch relativ frisch in der ganzen Agile Coaching Sache bin. Dein letzter Grundsatz ist: Die Retro deckt Spannungen auf. Mir als Agile Coach tut es manchmal ein bisschen weh, muss ich sagen, wenn ich dann wieder sehe: Da knistert es gerade. Aber ich finde es super wichtig, dass es natürlich rauskommt. Das will ich gar nicht damit sagen. Und das ist wohl auch einer der wichtigsten Punkte einer Retro.

Hermann Schmidt Ich habe schon ein paar Mal gesagt, dass es eine wichtige Aufgabe für Retros gibt und das ist wahrscheinlich noch eine dazu. Rein technisch betrachtet von der Moderationstechnik machst du als Facilitator immer den gleichen Trick. Du bewegst dich auf irgendwelchen Wegen zu Spannungspunkten hin. Und auf welchem Weg bist du? Kannst du alle möglichen Sachen einfallen lassen? Am Ende müssen irgendwelche Spannungspunkte rauskommen. Und mit denen arbeitest du dann. Der Weg ist dann eigentlich egal. Das war nur ein Vehikel, dass du da hinkommst. Du kannst verschiedene Formate ausprobieren. Aber du kommst immer auf irgendeinen Zettel, weil wir kleben heutzutage nur Zettel auf Miro Boards oder auf ein Board ihrer Wahl. Und da steht dieser eine Zettel und der ist auf irgendeine Weise entstanden und da steht was drin, was Spannung hat. Und das aufzulösen durch die Dialoge, das ist der Punkt vorher, das ist es eigentlich alles, was eine Retro machen muss. Spannungen aufdecken und dann darüber reden und dann ins Positive drehen, in die Zukunft gucken. Ich rolle jetzt praktisch meine Grundsätze gerade rückwärts auf. So ist die Technik von einer Retro auf ein simples Prinzip gebracht.

Melanie Schäfer Was du auch noch gesagt hast, ist das mit dem Team. Gerade diese Grundsätze einer Retro zu verfolgen, zeigt auch nur, dass wir mithilfe einer Retro, einer agilen Methode die Beziehungen und sozialen Komponenten in unsere Arbeit reinbringen wollen. Anstatt nur über Technik zu reden.

Hermann Schmidt Es ist ein sehr menschliches Bedürfnis. Es wird zwar in Retros auch viel über Technik geredet, aber ich mache es dann meistens so, dann sage ich: Ist es jetzt ein Ticket wert? Weil technische tiefe Diskussionen biege ich in der Retro ab, weil da ist keine Zeit dafür. Aber das ist auch eine Spannung, wenn jemand merkt, das System ist kaputt oder es gefällt ihm nicht, nicht wie es gebaut ist, dann ist Spannung. Das kann man natürlich ansprechen, dann wird kurz hin und her gesprochen: Sehe ich auch so. Dann machen wir jetzt mal ein Meeting und reden darüber.

Melanie Schäfer Dafür soll natürlich Platz sein.

Hermann Schmidt Ja, und dann hat es auch seinen Zweck erfüllt. Du musst die Sachen nicht alle in der Retro klären, wenn sie größer sind. Du kannst genauso gut sagen: Da müssen wir uns jetzt mal wieder stundenlang hinsetzen oder uns das genau anschauen. Aber dann hat es sein Zweck erfüllt. Der Spannungspunkt ist erkannt worden. Alle haben es gesehen und dann kann man sich damit beschäftigen. Es muss aber nicht unbedingt in der Retro sein. Das ist die Aufmerksamkeitslenkung, diese Retro ist ein Instrument zur Aufmerksamkeitslenkung. Und wenn solche Sachen die Aufmerksamkeit verdienen und ein Meeting braucht, dann ist es so.

Melanie Schäfer Über Aufmerksamkeitslenkung sollten wir, glaube ich, noch mal wann anders sprechen.

Hermann Schmidt Da habe ich letztens ein neues Format entwickelt, ist aber noch sehr unreif. Aber es hat so halbwegs funktioniert.

Melanie Schäfer Gleich mal ein Cliffhanger hier einbauen. Wir haben jetzt die sieben Grundsätze von Hermann Schmidt abgehakt. Schmidt, Sieben Grundsätze oder wie nennen wir sie? In deiner Erläuterung hattest du gerade schon gesagt, wir kleben immer Zettel. Die Zettelwirtschaft gibt es auf jeden Fall nur, weil wir irgendwas visualisieren wollen. Wenn Menschen irgendwie nicht nur sprechen, sondern auch mal sehen, worüber sie denken. Bringt schon mal was, würde ich behaupten. Was hast du da noch so auf Lager?

Hermann Schmidt Das ist bei mir der Punkt. Visuelle Abfragen unter anderem. Es ist alles visuell. Die ganzen Techniken sind visuell, mit Zetteln und verschiedenen Kombinationen von Sachen. Auf alle Fälle, was sehr praktisch ist, sind visuelle Abfragen, wo du siehst, wo die Leute stehen. Das ist ganz einfach. Du hast im simpelsten Fall einfach eine Skala, einen Block. Und dann mache ich immer Gesichter, von allen ein Foto. Und dann gibt es die Extreme an einem Ende und dann kann sich jeder und jede positionieren zu der Frage, die dazugehört. Zum Beispiel: Wollt ihr eine Katze im Büro? Ganz einfach. Auf keinen Fall ist links und unbedingt ist rechts. Und dann siehst du auf.

Melanie Schäfer Ich sage ja.

Hermann Schmidt Das Schöne ist, da sind wir wieder bei der Spannung, wenn der Haufen sich auseinanderzieht. Und das kreuz und quer verstreut ist oder eine Partei ist auf der einen Seite oder Partei ist auf der anderen Seite, da hast du eine Spannung entdeckt. Wenn sich alles auf einem Haufen ballt, dann brauchst mit dem Thema nicht allzu sehr beschäftigt zu sein, außer es sind alle im Negativen gelandet. Dann hast du auch Spannung. Aber daraus kannst du sehen, ob das Team homogen ist und es gibt auch sehr interessante Gespräche, wenn man darüber redet. Wieso bist du jetzt da und du da? Achso, aha, das ist ja interessant. Es gibt gute Gespräche.

Melanie Schäfer Gehst du da jetzt als Facilitator noch mal rein und sagst: Offenbar gibt es irgendwie eine Spannung. Hier gibt es einmal auf keinen Fall und einmal unbedingt. Und dann fragst du noch mal: Was ist da los?

Hermann Schmidt Ja, die Sachen kannst du nicht einfach so stehen lassen. Ich mache das Format gerne, wenn ich ein Team schlecht kenne. Wenn es neu ist, dann taste ich mich erst mal durch, stelle allgemeine Fragen. Wie siehst du das Projekt in Zukunft? Wie ist die Zusammenarbeit? Du kannst dir x verschiedene Kriterien ausdenken auf einer eindimensionalen Skala. Jetzt gibt es aber auch zwei Dimensionen, das mache ich nicht ganz so oft. Du hast wieder eine Skala waagerecht und machst aber noch eine senkrechte Dimension hin. Das ist eine Vier-Feld Matrix oder auch ohne Felder.

Melanie Schäfer Das habe ich auch schon mal gemacht. Ja, finde ich auch fast noch spannender manchmal.

Hermann Schmidt Zum Beispiel, wenn man was fragt. Ich finde der Prozess läuft gut. Und auf der anderen Achse, ich weiß auch, warum. Dann hast du die Leute, die den Prozess gut finden, aber nicht wissen, warum es genauso ist. Oder die, die es scheiße finden und genau wissen, warum. Und dann gibt es ganz interessante Muster auf diesem Viereck.

Melanie Schäfer Ja, finde ich auch. Das habe ich auch schon mal in der Ähnlichkeit gemacht. Oder selbst abzufragen. Es läuft aktuell schlecht, zu langsam zum Beispiel, oder nicht schnell genug. Und warum? Das gesamte Quadrat ist auf jeden Fall ausgefüllt gewesen.

Hermann Schmidt Das ist lustig. Die Technik kommt aus der Innovationsmethodik, wo du ein Thema oder eine Idee hast und daraus die eine Achse nutzt und Aufwand oder Potenzial. Und dann ist natürlich der Sweet Spot bei wenig Aufwand und hohem Potenzial sehr klar. Und auf die Weise kann man schnell visualisieren, wo eine Sache steht. Das mache ich mir zunutze. Ab und zu, nicht oft.

Melanie Schäfer Ich finde es auf jeden Fall ein schnelles Mittel, um überhaupt Stimmungen im Team oder auch Meinungen in einem Team mal schnell zu visualisieren. Dafür ist es auf jeden Fall super.

Hermann Schmidt Auch nach größeren Ereignissen, einem fetten Release oder irgendwas Größerem, da kann man kurz mal abfragen, wie es gelaufen ist.

Melanie Schäfer Und auf einen der vielen letzten Events, auf denen wir gemeinsam waren, hattest du auch mal von diesen Six Thinking Hats erzählt.

Hermann Schmidt Das von Edward de Bono. Das ist eine Universal Waffe für alles. Es liegt daran, dass da ein ganz fundamentales Prinzip drinsteckt in den Hüten, das in kleinerer Form auch immer wieder verwendbar ist. Wir gehen nun fließend in mein Universalformat über. Und zwar ist es so, das macht sich zunutze.

Melanie Schäfer Wenn ich das kurz beobachten darf. Diese Six Talking Hats sind verschiedene Ebenen, die unter einem Sachverhalt stehen. Sowohl Beobachtung, Gefühlsebene, Risiken, Chancen, Lösungsoptionen. Als du das vorgestellt hattest, dachte ich mir so: Wow, endlich jemand, der mehrdimensional denkt als nur inhaltlich und genau das visualisiert es wieder. Deswegen habe ich die Brücke geschlagen. Und du bist von diesen verschiedenen Hüten von de Bono dann auf dein eigenes Format runtergegangen.

Hermann Schmidt Ich nenne das die universelle Kategorie. Das ist ein zweidimensionales Format. Es ist schwer zu beschreiben, weil es sehr optisch ist, aber das Grundprinzip ist so, dass du, wenn du irgendwas beiträgst, das immer in drei Stücken beschreibst, und zwar sind das so Blöcke, da ist dann das Gesicht dabei und dann hast du drei Zettel. Der eine ist weiß, der andere rot und noch einer gelb. Du hast drei Zettel zum Ausfüllen und das ist nach de Bono. Der weiße Hut ist der Fakten Hut. Du schreibst da drauf, was du beobachtet hast. Nüchtern, sachlich, neutral. Ich habe das und das gesehen. Mir ist das und das passiert, das und das ist passiert.

Melanie Schäfer Die Inhaltsebene.

Hermann Schmidt Genau. Einfach nur: Was ist los? Die rote Karte sagt: Das ist deine persönliche Auffassung zu den Dingen. Was fühlst du dabei? Was hast du in dem Moment gedacht? Dein persönlicher Aspekt. Es ist die schwerste, die wird oft immer ignoriert. Aber da hake ich wieder ein. Das Gelbe sind bei de Bono die positiven Optionen. Dann gibt es den schwarzen Hut. Das ist das Risiko. Das wird zu kompliziert. Das wird dann im Gespräch alles rauskommen. Auf alle Fälle ist es wieder nach den Grundsätzen von der Retro. Du sollst was Positives schreiben. Und wenn es nur eine Idee ist, wie es anders aussehen kann. Und wenn du eine Lösungsidee hast zu diesem Problem, passt es auch. Das ist bei de Bono der grüne Hut, dann ist es ein Mischhut. Da schreibst du rein, wie du es gerne haben willst, wie es weitergehen soll und wenn du eine Idee hast, schreibst du es auch gleich rein. Dann deckst du alles ab. Dann verstehen die Leute, wie du zu der Sache stehst und was du dir für Gedanken dazu gemacht hast. Und es ist besser, als wenn du einfach nur Zettel klebst, wildes, unsortiertes Format. Da schreibst du einen Zettel hin, da wird alles vermischt, da wird die Sachebene mit der Gefühlsebene vermischt und der Ausblick wird vermischt und das hält es schön auseinander und man kann das dann besser besprechen.

Melanie Schäfer Und ich finde die Methode, die du da anwendest, zeigt dann auch noch mal wirklich diesen Team Gedanken da auch drinnen. Wer sind denn die Menschen, die da drinnen sind? Wie denken die darüber, was hier gerade passiert und was ist deren Wunsch? Und deswegen finde ich es super.

Hermann Schmidt Da ist genug Platz für Sachlichkeit auch. Aber man will sich gegenseitig verstehen. Das war immer die Intention. Das ist jetzt wieder ein Begriff aus der Facilitation. Den Intent willst du herausfinden. Warum ist was wie es ist? Nicht nur Ursache-Wirkungszusammenhänge feststellen, sondern bei Menschen auch gucken. Was ist die Intention für alles? Und das unterstützt das Ganze auch. Das war schon interessant, was da rauskommt. Das ist wesentlich besser, als wenn man einfach nur irgendwas aufschreibt. Das hilft schon.

Melanie Schäfer Ich kann mir aber vorstellen, dass die rote Karte, die Gefühlsebene, die wird regelrecht ignoriert. Ich versuche immer darauf aufmerksam zu machen: Da ist zwar keine Emotion, was hier steht.

Hermann Schmidt Oft wird es zum Dreisatz, in so einer logischen Folgekette. Es ist was passiert. Warum steht dann oft in roten und deshalb machen wir das und das in der gelben. Weil die Techniker denken einfach so. Aber man redet, damit die Emotion trotzdem rauskommt. Sie kommt ja trotzdem raus. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Und ich hätte es lieber, wenn es in der roten Karte steht.

Melanie Schäfer Jetzt haben wir aber wieder mit der Stereotypen Keule hier umhergeworfen.

Hermann Schmidt Aber es ist Beobachtung. Ich bin ja selbst so gestrickt.

Melanie Schäfer Möchtest du noch irgendwas zu deinem universellen Format sagen?

Hermann Schmidt Ja, es sind diese Klötze, die aus drei Taten bestehen, die werden dann in verschiedene Kategorien einsortiert, damit der Fokus besser ist. Weil ich habe es am Anfang ausprobiert. Man klebt einfach wild Zettel und dann musst du mühsam minutenlang diese Sachen clustern, was zusammengehört. Das kann man sich ersparen indem man günstige Kategorien vorher festlegt. Und die Reihenfolge ist nicht ganz unwichtig. Ich fange immer erst mit der Kategorie an, bei der es was zum Feiern gibt. Das ist jetzt in einem Prozess, wo es keine Sprints gibt, gewissermaßen das Feiern von dem, was man geschafft hat. Und dann freuen sich oft Leute darüber, dass jemand, der neu reingekommen ist, so prima mitarbeitet. Da geht es den Menschen auch besser, wenn er gleich ein gutes Feedback kriegt.

Melanie Schäfer Es soll auch mal gefeiert werden.

Hermann Schmidt Ja, wenn ein neues Feature raus ist und das funktioniert toll. Dann wird es gefeiert. Erst mal die Gefühlsebene abholen und die nächste ist gleich das Gegenteil. Was richtig blöd ist und am liebsten verbrannt werden soll. Da kann man verschiedene Bilder benutzen und dann wird es langsam wieder sachlicher. Da kann man aufteilen in zwei Kategorien: 1. Technische Kategorie und 2. Allgemeine Kategorie, wobei bei kleineren Teams sich das zusammenwirft. Da lohnt sich die Trennung nicht und das steht alles im Fokus. Damit man die Diskussionen fokussiert in gewissen Bereichen bleiben und nicht immer ausschweifen und man keine Mühe hat, als Facilitator die Cluster, die man sich mühsam aus den Zetteln zusammenbaut, in die richtige Reihenfolge zu kriegen, ist viel zu viel Stress. Es erleichtert für alle auch den Ablauf. Und am Schluss machen wir Work Life Balance, da entspannen wir uns dann wieder nach dem anstrengenden Zwischenteil. Und dann ist alles wieder cool. So machen wir das total oft, weil es einfach immer funktioniert. Das deckt alles ab, aber es ist dann langweilig, wenn man nur das macht. Deshalb nehme ich ein anderes Format vorweg. Wir haben mit den visuellen Abfragen, da habe ich die Fragen erfunden, um zu schauen, wie das Team beieinander ist. Aber man kann es genauso gut so machen, dass die Leute sich gegenseitig Fragen stellen. Dass sie die Sachen als Frage formulieren, weil sie einfach interessiert, was die anderen denken.

Melanie Schäfer Das stelle ich mir schwierig vor.

Hermann Schmidt Da plagen sie sich eine Zeit lang damit, weil das macht man sehr selten, aber wenn man das ein, zweimal gemacht hat, dann läuft es eigentlich ganz gut. Man kann fast alles als Frage formulieren, wenn man genau darüber nachdenkt.

Melanie Schäfer Das heißt jetzt was genau? Die einzelnen Teammitglieder können sich dann selbst ausdenken. Sowas wie: Ich frage jetzt Hermann, ob er mit mir einen Podcast machen möchte.

Hermann Schmidt Das ist an das Team gerichtet und dann können wir das auf der Skala ansetzen. Es ist immer eine Frage an alle und dann kannst du als Fragesteller feststellen, wie die anderen dazu stehen.

Melanie Schäfer Offene Fragen oder wie?

Hermann Schmidt Nein, die müssen in die Skala passen. Du hast eine Skala von zwei Extremen und da muss die Frage irgendwie reinpassen. Offen geht eigentlich gar nicht, weil du brauchst praktisch einen klaren Wert zwischen zwei Extremen.

Melanie Schäfer Okay, also es wird jetzt nicht mit den drei verschiedenen Ebenen gemixt.

Hermann Schmidt Ja, das habe ich tatsächlich nicht gemacht. Könnte man eigentlich auch machen. Aber das ist so eine visuelle, schnelle Frage für alle. Ist gut für den Facilitator.

Melanie Schäfer Okay, I see. Ja cool. Mal ein bisschen kreativ werden in der Retro und auch mal die Verantwortung an die Teammitglieder abgeben. Und nicht nur: Facilitator, sag mir, was ich tun soll, sondern wir dürfen alle was tun.

Hermann Schmidt Ja, der Inhalt kommt sowieso immer vom Team und das was ich als Facilitator bereitstelle sind nur Tools und Orientierungshilfen. Ich stelle Fragen, wenn was ist. Wenn ich merke, das interessiert mich jetzt, da möchte genauer wissen, was dahintersteckt, dann stelle ich Fragen. Aber der Inhalt ist immer vom Team.

Melanie Schäfer Und ein weiteres Format, was du auch nutzt, sind die Five Whys.

Hermann Schmidt Ja, das kommt ja aus der Kreativtechnik oder von Toyota. Wenn die irgendein Problem gehabt haben bei der Herstellung oder sonst was, dann verfolgt man eine Kette aus Warum? Man stellt was fest, das ist so und so und dann stellt man die erste Warum Frage: Warum ist es so? Und dann kommt die Antwort. Und warum ist jetzt das so? Und dann geht immer eine Kette von Warums weiter. Und das ist echt witzig. Bis zur dritten ist es meistens relativ leicht und dann merkst du langsam: Ups, jetzt wird es langsam eng.

Melanie Schäfer Vielleicht hat es mit der roten Karte, der emotionalen Karte zu tun.

Hermann Schmidt Ja, man muss ehrlich zu sich selber werden, an einer gewissen Stelle. Das passiert, wenn man das mal ausprobiert und nicht ausweicht. Und man kommt dann teilweise auch ganz woanders raus. Das ist nicht ein strenges Ursache-Wirkungs-Ding wie jetzt in der Fabrik, sondern das fängt mit irgendeinem Thema an und dann kommst du eventuell ganz woanders raus. Wenn du die Warums ehrlich weiterverfolgst. Das ist aber gut so. Und das Format, das benutze ich ab und zu, ist ziemlich schwierig. Das muss man tatsächlich öfters üben. Das ist anfangs ein bisschen mühsam. Aber es ist immer lustig. Es ist immer interessant, was da zusammenkommt. Und wie man dazu kommt. Da musst du eine Frage stellen. Ich habe einmal gemacht: Mit wem würdest du tauschen, wenn du jetzt eine Woche tauschen müsstest mit jemandem im Team? Und dann kannst du ganz wieder die Warum Frage einsetzen, da kommen sehr interessante Sachen raus.

Melanie Schäfer Interessant, was die anderen über einen denken.

Hermann Schmidt Ja, über die Rolle. Nicht die Person, sondern die Rolle. Das muss man auseinanderhalten. Aber es ist cool, weil du lernst dann, dass manche einfach auch gerne was anderes machen würden und sich für andere Dinge auch noch interessieren. Das kriegst du sonst nicht raus. Da gibt es verschiedene andere Dinge auch.

Melanie Schäfer Cool, macht bestimmt Spaß. Mir geht es schon manchmal so, dass ich gerne mal einen Tag Entwickler spielen wollen würde. Wie das dann so wirklich ist, wie man da mal Sachen tut. Das würde ich mir dann wünschen, wenn ich Teil des Teams wäre und dann auch noch meine Meinung dazu sagen dürfte und nicht nur moderieren würde. Nur in Anführungsstrichen.

Hermann Schmidt Ich wollte eine halbe Stunde machen. Jetzt sind es schon 45 Minuten durch. Na ja, time flies when you’re having fun.

Melanie Schäfer Das ist so. Wir kommen aber auch schon zum letzten Teil unseres Podcasts. Wie mache ich da weiter?

Hermann Schmidt Ich kann vielleicht noch ein Wort zu einer universellen Kreativtechnik verlieren, die auch beim Spannungen aufdecken hilft. Du formulierst erst mal das Gegenteil von dem, was du eigentlich formulieren willst und sammelst dann lauter Negativideen dazu. Und dann gehst du hin und drehst die Negativideen wieder auf den Kopf, machst es also zweimal umkehrt. Zum Beispiel kannst du sagen: Wir machen jetzt mal alles kaputt hier. Wir zerstören. Ich mache das ab und zu. Das Team darf jetzt das System zerstören, alles zerstören. Dann kommen lustige Sachen raus und man stellt fest. Ich muss mal darüber nachdenken, weil da ist tatsächlich eine Schwachstelle. Und dann gibt es die positiven Ideen dazu, wie man diese Zerstörung verhindern kann. Und die Spannung findet man dadurch heraus, dass du frei durchdrehen darfst und alles kaputtschlagen und dann feststellst: Oh ja. Das ist tatsächlich ein bisschen gefährlich an der Stelle. Und dann schauen wir mal, was wir dagegen tun können. Weil du einfach das Gegenteil von dem machst, was du machen sollst. Kaputt machen. Und in der Kreativtechnik ist es, du formulierst die gegenteilige Aufgabe. Und dann drehst du es um. Es funktioniert immer, weil komischerweise Menschen Lust daran empfinden, Sachen kaputt zu machen. Woran es liegt, es funktioniert einfach immer.

Melanie Schäfer Die Zerstör-Technik hatten wir auch mal ausprobiert und ich war erstaunt, wie viele Sachen mir eingefallen sind, die ich zerstören möchte oder die mich nerven. Dann haben wir da ganz wild Sachen gesammelt und das, was mich aber daran fasziniert hat, war, was danach passiert ist. Weil dann haben wir uns diese zerstörerischen Dinge angeschaut. Und dann hast du gesagt: Okay, wir drehen das jetzt mal um. Wie können wir das ins Positive drehen?

Hermann Schmidt Da sind wir wieder bei den alten Prinzipien.

Melanie Schäfer Dazu ist mir auch wieder mehr eingefallen. Mein Kopf war viel freier irgendwie, anstatt einfach nur eine Aufgabe zu haben: Das läuft schlecht. Und da fällt mir vielleicht eine Sache dazu ein, wie wir sie besser machen können.

Hermann Schmidt Du hast da einen tollen Multiplikatoreffekt, weil du zu jedem negativen mehrere positive erfinden kannst. Da hat ein Beitrag eigentlich einen tollen Multiplikatoreffekt. Dann kommt viel raus und man weiß aus der Kreativforschung viele Ideen, nicht wenig gute mühsam zusammenkratzen, sondern einfach viel produzieren. Da ist dann schon was Gutes dabei.

Melanie Schäfer In dem Moment habe ich mich dann auch, jetzt, wo du Kreativitätstechniken sagst. Ich habe mich wirklich kreativ gefühlt, weil ich mir dachte: Wow, da kann so viel rauskommen aus meinem Kopf. Das war sehr spannend. Auf jeden Fall sehr cool. Machen wir den Sack hier zu?

Hermann Schmidt Machen wir das Sackerl zu.

Melanie Schäfer Ja gut, Hermann, Ich hoffe, dass ich noch weitere spannende Dinge von dir hören darf, was Facilitation angeht. Einen kleinen Cliffhanger haben wir jetzt schon gebracht. Ich glaube, du stehst jetzt in der Pflicht, weiteres zu tun. Ich habe einen neuen Backlog aufgemacht. Ich komme vom einem ins 1000. Auf jeden Fall vielen lieben Dank für deine Zeit. Ich fand es super spannend. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht.

Hermann Schmidt Ja, war lustig. Ich kann einen Schlusssatz, auch wie er im Blogpost steht: Locker bleiben bei der ganzen Geschichte. In der Retro nicht verspannen, immer locker bleiben.

Melanie Schäfer Mein Onkel hat immer gesagt: Logger bleiben. In diesem Sinne: Bis zum nächsten Mal.

Hermann Schmidt Ja. Danke dir, Melli.

Alumna

Melanie war bis August 2023 Consultant bei INNOQ. Sie befasst sich gerne mit unterschiedlichen Arbeitsmethoden, Förderung von personalen Kompetenzen und Teamentwicklung.

Senior Consultant

Hermann Schmidt arbeitet als Senior Consultant bei INNOQ. Nach über zwei Jahrzehnten als Entwickler und Architekt, die sich hauptsächlich um die Frage des „Wie“ der Softwareentwicklung gedreht haben, rückt bei ihm heute das „Was“ und „Wer“ in den Vordergrund. Als Facilitator interessieren ihn Teamstrukturen, Entwicklungs- und Innovationsprozesse, sowie Kreativtechniken. Probleme, die sich in der Wolke zwischen Fachbereich und Entwicklungsteam verstecken, sind sein Lieblingsgebiet. In letzter Zeit haben die Large Language Models bei ihm einen Funken gezündet, der ihn an die Zeit als 17-Jähriger im Gymnasium erinnert, als er fasziniert mit großen Augen vor dem einzigen Computer saß und seine ersten Programme schrieb.