Warum passiert etwas? Diese Frage stellen wir uns, wenn wir ein Ereignis wirklich verstehen wollen. Meist suchen wir dabei nach der einen klaren Ursache – einer einfachen Erklärung. Egal, ob im Alltag, in der Politik oder in gesellschaftlichen Debatten: Überall stößt man auf diesen Drang zur Monokausalität, besonders bei unerwarteten oder unangenehmen Ereignissen. Eine einzige Ursache scheint uns dabei die Welt verständlicher zu machen und Probleme leichter lösbar. Doch genau hier lauert die Gefahr. Wenn wir zu einfach denken, verlieren wir leicht den Blick für die tatsächliche Komplexität und die vielen Verbindungen, die hinter den Dingen stehen. Warum das so ist, welche Denkfehler uns dabei in die Quere kommen und wie wir bewusster mit dem Wunsch nach simplen Erklärungen umgehen können – darum geht es in diesem Blogpost.
Monokausalität und Multikausalität
Monokausale und multikausale Erklärungen bieten unterschiedliche Perspektiven auf Ursache und Wirkung. Bei einer monokausalen Erklärung geht man davon aus, dass ein einziges Ereignis eine oder mehrere Konsequenzen nach sich zieht. Es bedeutet „durch einen Faktor verursacht“ bzw. „durch eine Ursache bedingt“. Wir haben also eine Linie von Ursache „A“ zu Wirkung „B“. In der IT könnte man dies beispielsweise bei einer Systemstörung sehen, die auf eine spezifische Fehlkonfiguration zurückzuführen ist. Hier wissen wir: Das eine Ereignis hat genau diese Wirkung.
Die multikausale Erklärung hingegen berücksichtigt, dass viele Ursachen im Spiel sind, um ein Ereignis auszulösen. Zum Beispiel: Warum saßen wir eine Stunde im Meeting und haben trotzdem kein Ergebnis? Es saßen nicht die richtigen Leute im Meeting, es gab keine Agenda und keine Moderation. Alle diese Faktoren haben in dem Moment ineinandergegriffen und zu einem ergebnislosen Austausch geführt.
Multikausal kann auch bedeuten, dass mehrere Ursachen verschiedene Ereignisse bewirken. Also in unserem Beispiel blieb als Folge nicht nur das Meeting ergebnislos, sondern die Teilnehmenden sind noch dazu frustriert und haben das Gefühl, ihre Zeit verschwendet zu haben.
Der Mensch neigt zu Monokausalität. Wir tendieren zu einfachen Wahrheiten, weil damit ein grundlegendes Bedürfnis befriedigt wird; etwa das nach Kontrolle und Vorhersehbarkeit. Monokausalität ist dabei eine Form der Heuristik – eine mentale Abkürzung, die uns hilft, schnell und ohne großen Aufwand Entscheidungen zu treffen. In unseren täglichen Routinen funktionieren solche monokausalen Erklärungen auch häufig und machen uns somit das Leben leichter.
Fälle für monokausale Erklärungen im Alltag lassen sich viele finden:
- Warum sind die Nudeln zu weich? Weil ich sie zu lang gekocht habe.
- Warum ist die Scheibe zerbrochen? Weil ein Stein dagegen geworfen wurde.
- Warum habe ich Hunger? Weil mein Magen leer ist.
- Warum ist jemand durch die Klausur gefallen? Weil er oder sie nicht genug gelernt hat.
- Warum wurde ich geblitzt? Weil ich zu schnell gefahren bin.
Auch für das Arbeitsumfeld lassen sich schnell Beispiele finden:
- Warum gab es einen Datenverlust? Weil kein Backup gemacht wurde.
- Warum tut die Funktion nicht, was sie soll? Weil ein Fehler im Code ist.
- Warum kann der User die Funktion nicht nutzen? Weil der Button nicht sichtbar ist.
In unseren täglichen Routinen helfen uns diese Zuschreibungen enorm. Sie sind ein valider Ansatz, uns den Alltag zu erleichtern. Der Mensch ist in erster Linie ein träges Wesen und wenn die erstbeste Erklärung taugt und plausibel ist, bleiben wir oft dabei „hängen“. Selbst wenn wir anschließend noch weiterdenken, haben wir schon eine erste Hypothese im Kopf und suchen unterbewusst nach weiteren Erklärungen, die unsere erste Hypothese unterstützen, das nennt sich positives Hypothesentesten. Dabei werden Informationen, die in eine andere Richtung deuten sogar an unsere Ursprungshypothese „assimiliert“.
Grenzen der Monokausalität
Das Denken in eindeutigen Ursache-Wirkung-Zusammenhängen birgt derweil auch Nachteile. So kann die Vereinfachung komplexer Probleme dazu führen, dass keine oder nur unbefriedigende Lösungen gefunden werden, da wichtige Zusammenhänge übersehen werden. Funktioniert diese Heuristik noch bei den obigen Beispielen (warum gab es den Datenverlust? Weil kein Backup gemacht wurde), greifen monokausale Erklärungen bei komplexeren Themen oft zu kurz. Gesellschaftliche, soziale und politische Bedingungen sind durch ein Zusammenspiel vieler Umstände geprägt. Und genauso verhält es sich auch in den Projekten, in denen wir versuchen, den Kunden bei der Entwicklung ihrer Software bestmöglich zu helfen. Hier spielen gleichzeitig technische, organisatorische und menschliche Faktoren eine Rolle, die in monokausalen Erklärungen nicht berücksichtigt werden.
Betrachtet man hier nur einen einzigen Auslöser, kann das dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die der Vielseitigkeit des Problems nicht gerecht werden. Wir produzieren dann ein Missverständnis über das, was wir erklären wollen. Das bedeutet, dass wir weder verstehen können, wie es passiert ist, noch vorhersagen können, wann es wieder geschieht, noch das Ergebnis in irgendeiner Weise manipulieren können.
Sehen wir uns dazu ein Beispiel an: „Warum ist unser Projekt gescheitert?“ Eine einfache, monokausale Antwort wäre: „Weil die Projektleitung einen schlechten Job gemacht hat“. Hier wird die Vielfalt der möglichen Ursachen, wie unklare Anforderungen, schlechte Kommunikation oder unrealistische Erwartungen, auf einen einzigen Faktor reduziert. In Wirklichkeit tragen viele Bereiche und Aktivitäten zum Scheitern eines Projekts bei. Die alleinige Schuldzuweisung an die Projektleitung ignoriert die vielschichtigen Ursachen und kann zu einseitigen, ineffektiven Maßnahmen führen.
Und doch neigen wir dazu, eine einzige Ursache zu akzeptieren – besonders bei negativen oder überraschenden Ereignissen. Gerade in solchen Momenten ist unser Bedürfnis zu verstehen und zu erklären besonders ausgeprägt. Die Überlegung: Wenn wir das Geschehene erklären können, können wir die Ursache beseitigen und künftig ähnliche Situationen vermeiden. Monokausale Erklärungen bieten hier eine entlastende Wirkung:
- Eine einzelne Ursache oder eine „Schuldige“ für ein Problem zu benennen, hilft, die eigene Verantwortung und die Komplexität der Lage zu reduzieren. Das Problem erscheint so weniger als ein systemisches, sondern als ein isoliertes, das „außerhalb“ liegt. Damit müssen wir uns selbst weniger hinterfragen oder ändern.
- In Krisen ermöglicht uns diese Einfachheit, schneller zu reagieren. Eine monokausale Sichtweise hilft, rasch eine Entscheidung zu treffen, indem sie den Fokus auf eine vermeintlich klare Lösung lenkt, statt zahlreiche Faktoren abzuwägen.
Hier kommen kognitive Verzerrungen ins Spiel. Unsere Wahrnehmung und Interpretation der Welt sind nicht immer so objektiv, wie wir annehmen. Kognitive Verzerrungen beeinflussen, wie wir Informationen verarbeiten, sie führen uns oft dazu, einfache Erklärungen zu akzeptieren und selektiv nur die Aspekte zu sehen, die unsere Überzeugungen bestätigen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der sogenannte Bestätigungsfehler.
Der Bestätigungsfehler, oder Confirmation Bias, sorgt dafür, dass wir uns oft die Infos rauspicken, die unsere Sichtweisen stützen. Wir neigen dazu, gezielt nach Daten und Meinungen zu suchen, die bestätigen, was wir eh schon glauben. Dabei ignorieren oder werten wir Dinge ab, die nicht ins Bild passen. Das lässt sich im Wesentlichen auf 4 Aspekte herunterbrechen:
- Informationen, die unsere Meinung stärken, messen wir ein höheres Gewicht zu.
- Wir suchen gezielt nach Informationen, die unsere Ansichten bestätigen.
- Wir interpretieren Informationen so, dass sie unsere Überzeugungen untermauern, etwa durch Abwertung widersprechender Fakten.
- Informationen, die unsere Überzeugungen stützen, fallen uns schneller auf und bleiben präsenter.
Ob im Alltag, bei der Arbeit, in der Politik oder in der Wissenschaft – der Bestätigungsfehler schafft oft eine „Filterblase“. Wir sehen nur noch das, was unsere Meinung stützt, und nehmen weniger wahr, was uns herausfordern könnte. Das führt schnell dazu, dass wir Dinge einseitig sehen und uns schwertun, eine wirklich ausgewogene Perspektive zu entwickeln.
Der Bestätigungsfehler kann weitreichende Folgen haben. Viele Entscheidungen, auch politische und gesellschaftliche werden von ihm beeinflusst.
Eine weitere kognitive Verzerrung ist der fundamentale Attributionsfehler. Wenden wir monokausales Denken an, richten wir den Fokus oft nur auf die Akteurin und schreiben Ereignisse primär ihrem Handeln zu – weniger den Umständen. Der fundamentale Attributionsfehler führt dazu, dass wir Ursachen eher in einzelnen Personen oder Faktoren sehen, anstatt systemische oder komplexe Zusammenhänge in den Blick zu nehmen. Das ist insoweit verständlich, als das uns die situativen Umstände oft gar nicht bekannt sein können.
Ein Beispiel: Ein Kollege kommt wiederholt zu spät zur Arbeit. Der fundamentale Attributionsfehler würde dazu führen, dass ich denke: „Der ist einfach unzuverlässig und unorganisiert.“ Ich schreibe sein Zuspätkommen seinem Charakter zu. Es ist eine negative Eigenschaft (Attribut) des Kollegen. Dabei liegt die Ursache für sein Verhalten möglicherweise in gewissen Umständen. Wie in dem Bild zu sehen: er hat zwei Kinder und der Kindergarten macht erst auf, wenn das erste Meeting beginnt. Da uns diese Umstände nicht bewusst sind und wir, wie bereits erwähnt, grundsätzlich einfache Wahrheiten bevorzugen, neigen wir dazu, schnell in den Attributionsfehler zu verfallen.
Bei uns selbst machen wir diesen Attributionsfehler interessanterweise selten: komme ich selbst zu spät, betrachte ich die Situation anders. Ich schreibe mein Verhalten nicht meinem Charakter, sondern den äußeren Umständen zu („Ich musste ja die Kinder fertig machen!“).
Der fundamentale Attributionsfehler bewirkt also, dass wir Ursachen eher in einzelnen Faktoren oder in einer Person suchen, statt systemische oder komplexe Zusammenhänge zu betrachten. Dies geschieht häufig unbewusst, hat aber durchaus Schlagkraft, weil er, bezogen auf unser Beispiel, unser Bild des Kollegen nachhaltig beeinflussen kann.
Folgen monokausalen Denkens
Es liegt nah, dass sich monokausales Denken nicht nur darauf auswirkt, wie wir die Welt betrachten, sondern auch auf unsere sozialen Beziehungen. Indem wir Handlungen oder Eigenschaften von Menschen auf eine einzige Ursache zurückführen, vereinfachen wir oft zu stark – und öffnen so Vorurteilen und Stereotypen die Tür. Wenn wir Ereignisse einseitig deuten, sehen wir meist nur das, was unsere Annahmen bestätigt. So landen Menschen in „Schubladen“, die oft nicht ihrem komplexen Charakter oder den Umständen ihres Handelns gerecht werden. Schnell entstehen Missverständnisse und Konflikte, die unsere Beziehungen belasten können.
Die gute Nachricht: Je besser wir jemanden kennen und je vertrauter die Beziehung ist, desto weniger neigen wir zu kognitiven Verzerrungen wie dem Attributions- oder Bestätigungsfehler – und damit auch weniger zu diesem einfachen, monokausalen Denken.
Auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene kann monokausales Denken Missverständnisse fördern und massive negative Folgen haben. Besonders Ideologien und Verschwörungstheorien nutzen unsere Neigung, in einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen zu denken, gezielt aus. Sie sind immer so aufgebaut, dass sie monokausale Gründe anbieten, und schreiben zum Beispiel alle möglichen Ereignisse den Machenschaften einer einzelnen Gruppe oder „dem Verschwörer“[1] zu. Solche simplen Erklärungen mögen plausibel erscheinen, blenden aber die Vielzahl an Ursachen aus, die hinter den meisten Phänomenen stehen. Am Ende verstärken solche reduzierten Darstellungen Vorurteile, tragen zu Spaltung bei und erschweren eine differenzierte Auseinandersetzung mit komplexen Themen.
Was tun?
Um weniger in monokausales Denken zu verfallen – also nicht sofort eine einfache Ursache für komplexe Situationen zu suchen – können wir ein paar bewusste Strategien nutzen:
Sich selbst hinterfragen und alternative Erklärungen prüfen: Nicht die erstbeste Erklärung als „die Lösung“ annehmen. Stattdessen lohnt es sich, gezielt nach weiteren möglichen Ursachen zu suchen. So fällt es leichter, eine einseitige Sichtweise zu vermeiden und breitere Zusammenhänge zu erkennen.
Andere Perspektiven einbeziehen: Sich Feedback holen und mit anderen austauschen. Unterschiedliche Blickwinkel zeigen oft Aspekte auf, die man selbst nicht wahrnimmt, und helfen, voreilige Schlüsse zu vermeiden.
Mit Unsicherheiten umgehen lernen: Es muss nicht immer eine klare Antwort geben. Manchmal sind Situationen komplex und bleiben ungewiss. Das zu akzeptieren, hilft, flexibler zu denken.
Diese Strategien im Alltag anzuwenden, hilft dabei, bewusster mit dem Drang nach einfachen Erklärungen umzugehen und so die Qualität unserer Entscheidungen und das Verständnis für komplexe Themen zu verbessern.
Schlussfolgerung
Monokausales Denken kann uns wichtige Einsichten kosten und unsere Entscheidungsfindung einschränken. Um dies zu vermeiden, lohnt es sich, regelmäßig den eigenen Erklärungen auf den Grund zu gehen, alternative Ursachen zu prüfen und Feedback von anderen einzuholen. Denn: Multikausale Erklärungen sind den monokausalen Erklärungen in der Regel überlegen. Wichtig ist auch der Versuch, sich mit Unsicherheiten anzufreunden und zu akzeptieren, dass nicht jede Situation eine eindeutige Antwort bereithält. Schon das Bewusstsein über monokausales Denken hilft dagegen. Je bewusster wir uns dieser Neigung sind, desto leichter fällt es uns, damit umzugehen und das subtile Gefühl der Unzufriedenheit auszuhalten, das uns überfällt, wenn wir nicht sofort eine Erklärung für etwas parat haben.
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Vgl. Tschuschnigg, Christine Theresa (2024): Verschwörungstheorien und ihre gesellschaftlichen Herausforderungen. Soziale Medien als Katalysator? S. 45 ↩