Zuallererst muss ich mich outen: Ich gehöre zur Generation X. Das verrät nicht nur einiges über mein Alter, sondern ist auch der Grund dafür, dass ich selbst nie an einem Girls’Day teilgenommen habe. Denn damals, als es in der Schule darum ging, sich für eine Ausbildung und einen Beruf zu entscheiden, gab es diesen bundesweiten Aktionstag zur Berufs- und Studienorientierung für Mädchen noch nicht. Und auch später hat sich die Gelegenheit nie ergeben, einen solchen Tag zu organisieren oder mitzugestalten. Der diesjährige Girls’Day am 28. April 2022 war also ein echtes Novum für mich. Entsprechend gespannt war ich, auf welches Interesse unser Angebot, das wir Anfang 2022 im Girls’Day-Radar veröffentlichten, stoßen würde. Und ja, krass, kaum eingestellt, da waren auch schon alle 24 Plätze, die wir in Hamburg zur Verfügung gestellt haben, weg.
Was ist denn hier der ROI?
INNOQ beteiligt sich nicht zum ersten Mal am Girls’Day. Insbesondere die Kolleg*innen in Berlin und Monheim haben in der Vergangenheit tolle Angebote auf die Beine gestellt. Pandemiebedingt sind die letzten beiden Male allerdings ausgefallen. In diesem Jahr war es nun erstmals wieder möglich, sich vor Ort von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Diese Gelegenheit haben wir an den Standorten Monheim und Hamburg wahrgenommen. Unsere Motivation: Wir möchten dazu beitragen, mehr Diversität in der Softwareentwicklung zu erreichen. Und das fängt nun mal mit den Menschen an, die Software entwickeln. Klar, so ein Tag ist erst mal Aufwand, zeitlich wie auch finanziell. Und der Return on Investment ist weder sofort noch direkt messbar. Es ist eine Investition in die Zukunft. Wenn sich aber nur ein oder zwei Mädchen für einen Beruf in der Softwareentwicklung entscheiden und wir zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten können, dann ist das, wie ich finde, viel wert.
Softwareentwicklung – von der Idee zum Produkt
Über das Thema haben wir uns im Vorfeld viele Gedanken gemacht. Natürlich wäre es naheliegend gewesen, den Mädchen eine Programmieraufgabe zu geben. Softwareentwicklung ist immerhin eine unserer Kernkompetenzen. Und wenn man unser Motto für den diesjährigen Girls’Day – Code knows no gender – wörtlich nimmt, dann wäre das nur konsequent gewesen. Andererseits wollten wir die Chance nutzen, mit dem gängigen Vorurteil, dass in der IT nur Entwickler*innen arbeiten, aufzuräumen. Vielmehr wollten wir zeigen, wie vielfältig und abwechslungsreich die verschiedenen Rollen und Berufsbilder im Bereich der Softwareentwicklung sind. Deshalb entschieden wir uns für ein Thema aus der digitalen Produktentwicklung: „Softwareentwicklung – von der Idee zum Produkt“.
Inhaltlich sollte es sich v. a. um diese Punkte drehen:
- Bei der digitalen Produktentwicklung geht es zuallererst um Menschen, die das Produkt am Ende nutzen – die Nutzer*innen.
- Deshalb ist es wichtig, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen.
- An diesem Prozess ist eine ganze Reihe von Personen beteiligt, die nicht programmieren, z.B. Product-Owner*innen, UX-Designer*innen oder Projekt-Manager*innen.
Die Tierheim-Hamburg-App a.k.a Hunde-Tinder
Das Ganze wollten wir nicht nur abstrakt, sondern anhand eines konkreten Produkts behandeln – eines, auf das die Mädchen Lust haben und das sie auch im echten Leben benutzen würden. Bei der Suche nach so einem Produkt wurde allerdings schnell klar: Niemand von uns acht Coaches, die den Tag mit vorbereitet haben und auch in Hamburg vor Ort sein würden, hatte Erfahrungen mit Teenagern im Alter von 13–15 Jahren. Was nutzen Mädchen in diesem Alter eigentlich für Apps außer Insta, TikTok und Co? Einige Recherchen und Diskussionen später einigten wir uns auf das Thema „Tiere“. Die Idee dahinter: Seit der Pandemie legen sich immer mehr Menschen Haustiere zu. Vor allem Hunde stehen hoch im Kurs. Warum also nicht eine App für ein fiktives Hamburger Tierheim entwickeln, über die Menschen auf der Suche nach einem Hund einen zu ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten passenden Vierbeiner finden können – so eine Art Tinder für Mensch und Tier.
Und Action!
Und nun waren die Mädchen dran. Im Team – wir bildeten insgesamt sechs Vierergruppen – sollten sie Stakeholder identifizieren. Da gab es zum einen den Tierheimdirektor Lars, der seine Hunde vermitteln, aber auch Spenden für Futter und ein neues Außengehege einsammeln wollte, und zum anderen Martina, die als Interessentin auf der Suche nach einem für sie passenden Hund war. Mit Unterstützung der Coaches durften die Mädchen die beiden nach Herzenslust ausquetschen, um ihre Anforderungen zu erfragen und diese in User Storys zu verpacken.
Wertvolle Informationen, die sie dann in der zweiten Hälfte des Tages für die Erstellung eines Prototyps der Tierheim-Hamburg-App in Figma benötigten. Hierfür hatten wir im Vorfeld eine Art Vorlage erstellt. Darin enthalten war ein Set an gestylten Komponenten, z.B. Buttons, Headings oder Bilder, aus denen die Mädchen wählen konnten. Damit wollten wir Komplexität herausnehmen. Wir hätten ihnen da aber durchaus mehr zutrauen dürfen. Die waren so fit. Am Rechner sowieso und den Figma-Dreh hatten sie auch schnell raus.
Es war mein erster Girls’Day überhaupt und ich war ganz schön aufgeregt. Alle waren so nett und wir hatten eine wirklich spannende und tolle Zeit. Vielen lieben Dank für alles! Ich werde den Tag nie vergessen.
EmiliaTeilnehmerin am INNOQ Girls'Day 2022 in Hamburg
Eine App, sechs Ansätze
Was ich total spannend fand, war, wie unterschiedlich die einzelnen Teams an die Aufgabe herangegangen sind. Die einen scribbelten die verschiedenen Screens ihrer App erst mal auf Papier vor, bevor sie sich an die Umsetzung in Figma machten. Die anderen klickten den Prototypen sofort in Figma zusammen: quick and dirty nach dem Trial-and-Error-Prinzip, Styling kam später. Andere wiederum legten von Anfang an den Fokus auf die Gestaltung und kleine Details. Und auch in Sachen Marketing wurden die Mädchen richtig kreativ. Mit unserem App-Namen, „Tierheim Hamburg-App“, konnten wir offensichtlich nicht bei ihnen punkten. Fast alle Teams hatten da deutlich bessere Ideen. Die Vorschläge reichten von „V.I.P.“ als Abkürzung für „Very Important Pet“ bis hin zu ganzheitlichen Mental-Health-Konzepten mit dem schönen Titel „Geben Sie niemals Ihr Glück auf!“.
Das Ergebnis des Tages lässt sich also so zusammenfassen: Eine App, sechs verschiedene Ansätze und Herangehensweisen. Vor allem aber auch 24 stolze Teilnehmer:innen und nicht minder stolze Coaches.
Lessons learned
Bei der Organisation eines solchen Tages lernt man ja auch immer viel dazu. Meine lessons learned:
- Der Girls’Day fand vor Ort in Hamburg statt. Um aber alle Coaches einbinden zu können, sollte der Tag ursprünglich hybrid sein. Wir wollten eine Kolleg*in, die sich als Stakeholder zur Verfügung gestellt hatte, remote dazuschalten, um Fragen zu ihren Anforderungen zu beantworten und auch später bei der Erstellung des Prototyps für spontane Nachfragen zur Verfügung zu stehen. Dass das gar nicht so einfach ist, sowohl technisch als auch mit Blick auf die Gruppendynamik, wurde mir aber erst kurz vor dem 28. April so richtig bewusst. Dadurch mussten letztlich alle Coaches vor Ort sein. Das war zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung für die Experience unserer Teilnehmerinnen. Für die Kolleg*in, die nur remote teilnehmen konnte und das auch stets so kommuniziert hatte, war das natürlich enttäuschend. Meine lesson learned: Wenn hybrid, dann von Anfang an konsequent mit einplanen. Und wenn das Technik-Know-how fehlt, rechtzeitig jemanden fragen, der sich damit auskennt. Und auch das ist eine Erkenntnis: Beim nächsten Mal hätte ich keine Bedenken, den Teilnehmerinnen so eine Hybrid-Situation „zuzumuten“. Die machen das schon.
- Mädchen haben kein Interesse an einem Job in der Softwareentwicklung? Äh, nein. Wir hatten zwischendurch unsere Kollegin Aminata per Zoom dazugeschaltet. Sie hat aus ihrem Arbeitsalltag berichtet und dann Fragen beantwortet. Und ja, die Mädchen mussten erst mal warm werden. Aber dann sprudelte es aus ihnen heraus: Wie wird man Softwarearchitekt*in? Welche Ausbildung hast du gemacht? Was muss man dafür können? Willst du den Job eigentlich bis zur Rente machen?
- Den Mädchen mehr zutrauen: Wir waren uns im Vorfeld unsicher, wie viel Vorwissen wir von den Mädchen erwarten können. Jetzt wissen wir: Auch wenn es keine konkreten Vorkenntnisse gibt, machen sie das mit ganz viel Interesse und Neugierde sowie einem intuitiven Umgang mit Hard- und Software wett.
- Kein Mikromanagement nötig: Wir waren insgesamt acht Coaches vor Ort. Zwei davon übernahmen die Rolle der Stakeholder. Die restlichen sechs kümmerten sich um die einzelnen Teams. Fast schon gespenstisch, wie wenig die uns brauchten.
Fazit
In erster Linie hoffe ich natürlich, dass unsere Teilnehmerinnen einen tollen, unvergesslichen Tag hatten, an dem sie viel für sich und ihre Zukunft mitnehmen konnten. Das Feedback, das wir bekommen haben, lässt zumindest darauf schließen. Aber auch für uns Coaches hatte der Tag etwas Inspirierendes und Motivierendes. Allein schon, diesen Tag im Team vorzubereiten und ihn dann vor Ort Realität werden zu lassen, hat mir viel Spaß gemacht. Machen wir das also noch einmal? Auf jeden Fall. Dann könnte es ja auch mal einen gemeinsamen Girls’ and Boys’Day geben. Denn zusammen läuft’s ja bekanntlich besser.
Am INNOQ Girls’Day in Hamburg haben ganz viele Kolleg*innen mitgewirkt. Danke an:
- Daniela Schubert, die als Remote Coach an der Vorbereitung mitgewirkt hat.
- die Coaches vor Ort, die den Mädchen mit Rat und Tat zur Seite standen: Isabel Bär, Daniel Deutsch, Robert Glaser, Stefanie Heinrich, Lars Hupel, Lena Kraaz, Martina Meng, Melanie Schäfer.
- Aminata Sidibe, die den Mädchen Rede und Antwort zum Thema „Alltag eines Consultants“ stand.
- Cedric Kleinjung und Marc Giersch, die uns mit Hardware und Figma-Zugängen versorgten.
- Sebastian Eberstaller: Figma-Alleskönner und Schöpfer der Figma-Vorlage.
- Sonja Vilches, die die User Story Templates designt hat.
- Uschi Nettersheim, die sich um die Kommunikation mit unseren Teilnehmerinnen im Vorfeld gekümmert hat.
Bis zum nächsten Mal!