Ökonomisches Handeln [1] in modernen Gesellschaften besteht aus komplexen sozialen Interaktionen, die voneinander abhängig und miteinander integriert sind. Dabei haben sich die Fähigkeiten, die ein einzelner Mensch besitzt, um diese zu bewältigen, in den letzten zehntausend Jahren nicht signifikant verändert.

Was sich verändert und weiterentwickelt hat, sind die Gesellschaften, in denen wir heute leben. Vor ein paar tausend Jahren beschränkte sich ökonomisches Handeln noch auf eine eng begrenzte Gruppe von Individuen, zwischen denen die soziale Funktion des Vertrauens auf dem Einander-Kennen basierte. Heute geschieht ökonomisches Handeln in der Regel zwischen Unbekannten über große Distanzen – etwas, das nur möglich ist, weil moderne Gesellschaften in der Lage sind, Funktionen auszudifferenzieren und Institutionen zu erzeugen, die diese Art des Handelns ermöglichen.

Intermediäre

Eine wichtige Rolle in diesem Handeln spielen dabei Intermediäre oder Vermittler. Intermediäre sind im ökonomischen Handeln Personen oder Institutionen, die als Subjekte auftreten und zwischen zwei Parteien eine Interaktion vermitteln. Die zwei bekanntesten Beispiele für Intermediäre sind Post und Bank. Beide ermöglichen ökonomisches Handeln zwischen zwei Parteien, das ohne die beiden Institutionen deutlich schwieriger und teuer für beide Parteien wäre. Wenn die Post ein Vertragsdokument übermittelt, ist das deutlich günstiger und in der Regel zuverlässiger als wenn eine Partei selbst losziehen müsste. Gleiches gilt für die Bank im Falle einer Überweisung.

Beide Interaktionen bilden ökonomisches Handeln ab, wobei den Intermediären normalerweise egal ist, was dessen Zweck ist. In moderne Gesellschaften ist die fundamentale Bedeutung solcher Intermediäre bekannt und wird ermöglicht, indem sie staatlich legitimiert werden. Der damit geschaffene rechtliche Rahmen erlaubt es, den Parteien, die auf die Intermediäre zurückgreifen, Ansprüche an eine ordentliche Ausübung ihrer Vermittlung zu erheben – zumindest in demokratischen Rechtsstaaten. Die Einhaltung des Postgeheimnisses kann ebenso eingeklagt werden, wie der Transfer des korrekten Geldbetrags bei einer Überweisung.

Diese rechtliche Handhabe gegenüber den Intermediären sorgt für eine Balance und sichert alle drei Subjekte – die beiden Parteien und den jeweiligen Intermediär – in Hinsicht auf ihre Pflichten und Rechte ab. Die Intermediäre leiten daraus ab, welche Infrastruktur sie aufbauen müssen. Diese kann dann auch mit hoheitlichen Aufgaben verknüpft sein, wie etwa die Postleitzahlen im Fall der Deutschen Post.

Die Intermediäre, insbesondere solche, die über eine explizite staatliche Legitimation, genießen üblicherweise ein hohes Vertrauen, wie es in dem vorigen Teil ausgeführt wurde. Dieses Vertrauen führt zu einer hohen Komplexitätsreduktion in modernen Gesellschaften, was ökonomisches Handeln in den heutigen Größenordnungen erst möglich macht.

Kopplung und Freiheiten

Natürlich zahlen soziale Systeme, die Intermediäre als Strukturen erzeugen, einen Preis dafür. Abgesehen vom Preis für die Dienstleistung der Intermediäre entsteht auch eine Abhängigkeit von deren Strukturen. Und je komplexer das soziale System ist, in dem ein solcher Intermediär tätig ist, desto stärker wird diese Abhängigkeit. Der Grund dafür liegt darin, dass die Funktion eines Intermediäres umso schwieriger zu kopieren ist, je komplexer das System ist, in dem er seine Funktion erfüllt, und je mehr soziale Interaktion von diesem Intermediär abhängt.

Deutlich wird das bei den Bestrebungen der letzten 30 Jahre, die Funktion einige ehemals staatlicher Intermediäre in privatwirtschaftliche Strukturen zu überführen. Dort sind in der Regel Regulierungsbehörden notwendig, um einerseits die bisher funktionierende Struktur der Intermediäre am Laufen zu halten und andererseits neuen Teilnehmern den Einstieg zu ermöglichen. Sinn und Notwendigkeit solcher Maßnahmen sollen hier nicht diskutiert werden, der Wunsch nach weniger Abhängigkeit von Intermediären aber durchaus. Dieser Wunsch, häufig als einfaches Beispiel bezogen auf Banken, wird häufig als Aufhänger benutzt, wenn es darum geht, den Nutzen von Crypto-Technologien zu erklären.

Und tatsächlich erscheint eine derartige Argumentation auch schlüssig, schließt sie doch an einen Trend zur Disintermediation an. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass sich die Funktion vieler Intermediäre gewandelt hat und immer noch wandelt. Ein gutes Beispiel im Bankenbereich ist die Einführung von SEPA vor einigen Jahren. Die Intermediärsfunktion der Bank wird dadurch aber nur verändert, sie verschwindet nicht. Damit sind Menschen, die Überweisungen tätigen wollen, immer noch auf die Bank als Intermediär angewiesen.

Neue Intermediäre

Dass diese Intermediärsfunktion nicht ohne weiteres von einer beliebigen Techno-ogie übernommen werden kann, leuchtet ein. Einige Crypto-Technologie-Projekte haben den Versuch angetreten, durch das Bereitstellen von technischer Infrastruktur und der Öffnung des Zugangs dazu, die Möglichkeit zu schaffen, auf die Bank als Intermediär zu verzichten. Und prinzipiell ist ihnen das auch gelungen, denn über innerhalb der Systeme diverser Crypto-Währungen kann beispielsweise Geld transferiert werden, ohne dass eine Bank dazu notwendig ist. Ganz neu ist das tatsächlich nicht: mit Western Union gibt es einen Intermediär, der diesen Service seit 1871 ermöglicht.

Diese Möglichkeit der Crypto-Technologien hat aber, ebenso wie die Nutzung der existierenden Intermediäre, einen Preis. So ist für das direkte Nutzen einiges technisches Wissen notwendig. Dieses Wissen haben aber nicht alle Menschen, die diese Funktion nutzen würden. Die daraus resultierende Zugangsbarriere hat dazu geführt, dass sich sehr schnell neue Institutionen gebildet haben, die manchmal als Crypto-Börsen bezeichnet werden. Diese erfüllen für die Crypto-Technologien praktisch die gleiche Rolle, wie sie von klassischen Banken traditionell ausgeübt wird: Sie sind Intermediäre zwischen Parteien.

Der Preis, den diese Parteien für den Wechsel zu den neuen Intermediären zah-len, ist aber nicht zu unterschätzen. Sie greifen auf Intermediäre zurück, die nicht staatlich legitimiert sind und deren Pflichten, damit nur auf dem mit jeder Partei ab-geschlossenen Vertrag beruhen. Mehr noch: diese Verträge können sich unterscheiden oder praktisch unwirksam sein.

Das ist kein Argument gegen Crypto-Technologien, auch keines dagegen, diese als Intermediäre einzuführen. Wenn es um die Idee geht, mit einer Technologie eine strukturelle Funktion in sozialen Systemen abzulösen, muss den Beteiligten aber klar sein: Solang die Technologie die Komplexität des sozialen Systems nicht min-destens im gleichen Ausmaß reduziert, wie es die existierenden Intermediäre tun, wird sie diese nicht ablösen. Und im Falle von ökonomischem Handeln ist die An-zahl der Intermediäre groß. Sie sind aufeinander eingespielt und staatlich legitimiert. Dieser Vorsprung an Komplexitätsreduktion wird dazu führen, dass die existieren-den Intermediäre genau den Teil der Crypto-Technologien adaptieren, der es ihnen erleichtert, ihre Rolle zu erfüllen.

Ein bisschen Entkopplung geht nicht

Die Betrachtung der sozialen Funktion von Intermediären zeigt: Die Entkopplung von diesen stellt also nicht unbedingt ein für alle Beteiligten anzustrebendes Ziel dar. Dass sie praktisch sehr schwer ist, wird daran deutlich, wie viele der neuen Intermediäre zwischenzeitlich ins Wanken geraten oder sogar wieder verschwunden sind. Wenn Crypto-Technologien eine relevante Rolle als Intermediäre spielen sollen, ist neben der technischen Machbarkeit noch einiges an Arbeit in Hinsicht auf Regulierung und Legitimation notwendig.

Aber selbst wenn diese gelungen sind: Dass Crypto-Technologien etablierte Intermediäre vollständig ersetzen werden, ist eher unwahrscheinlich.

  1. Ökonomisches Handeln bedeutet hier, dass zwei (oder mehr) Parteien etwas miteinander tun wollen und dabei eine wirtschaftliche Absicht verfolgen. Das kann ein Kauf sein, die Gründung einer Band oder auch nur eine Einladung zum gemeinsamen Essen.  ↩

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