Gründe, mehr Teamautonomie anzustreben, gibt es viele. Sei es die Idee, dass mit Autonomie prinzipiell eine Vereinfachung organisationaler Abläufe einhergeht, sei es, dass Aufgaben zu komplex erscheinen, um sie in einem großen Verbund von Individuen zu lösen, sei es das Versprechen höherer Produktivität eines neuen Skalierungs-Frameworks oder auch der individuelle Wunsch nach weniger Meetings, die Zeit benötigen. So nachvollziehbar all diese Gründe für sich genommen sind, muss die vermeintliche Lösung Teamautonomie als Illusion betrachtet werden.

Organisationen als Notwendigkeit

Menschen bilden seit Jahrtausenden Organisationen und ziehen aus der Existenz von Organisationen immense Vorteile. Die moderne Gesellschaft könnte ohne Organisationen nicht existieren, weil viele zivilisatorische Errungenschaften nur durch die strukturierte und koordinierte Zusammenführung der Handlungen vieler Individuen überhaupt möglich sind und erhalten werden können. Genau diese Zusammenführung ist - vereinfacht gesagt - das, was Organisationen leisten. Organisationen funktionieren, weil sich die Mitglieder darauf verlassen können, dass gewisse Dinge auf eine vereinbarte Weise geschehen. Damit erzeugen Organisationen die soziale Verlässlichkeit, die für Menschen notwendig ist, um komplexe Problemstellungen angehen zu können. Die Organisation sorgt mit ihrer Verlässlichkeit dafür, dass sich ihre Mitglieder um bestimmte Dinge keine Gedanken machen müssen und dadurch überhaupt erst in die Lage versetzt werden, ihr die geistige Kapazität für das Lösen von komplexen Problemen zur Verfügung stellen zu können.

Vereinfacht betrachtet sind Organisationen für Menschen ein notwendiges Übel, um gewisse komplexe Themenstellungen überhaupt angehen zu können.

Organisationen und Teams

Das Bilden von Teams ist eine Form, Organisationen zu strukturieren. Solche Organisationsstrukturen dienen dazu, eine Organisation handlungsfähig zu machen. Dabei kann es sich neben Teams auch um Geschäftsbereiche oder Abteilungen handeln - in Bezug auf das Thema Autonomie ist die Unterscheidung allenfalls akademischer Natur.

Die Handlungsfähigkeit gewinnen Organisationen aus diesen Strukturen auf zwei Arten: Zum einen bieten diese Organisationsstrukturen eine Orientierung für die Mitglieder der Organisation. Damit wird sowohl das menschliche Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit adressiert, als auch die kognitive Last für das Zurechtfinden in der Organisation reduziert.

Zum anderen stellen diese Strukturen sicher, dass die Organisation Verantwortung ohne Bezug zum Individuum koordinieren kann. Letzteres ist notwendig, weil die Mitgliedschaft in einer Organisation etwas volatiles ist und für ein Individuum jederzeit enden kann. Ein Team kann für eine bestimmte Softwarelösung verantwortlich sein, auch wenn einzelne Menschen aus dem Team die Organisation verlassen haben. Für die anderen Mitglieder der Organisation spielt das - aus der Perspektive der Organisation - keine Rolle. Das Team ist als Teil der Organisation noch da und wird seiner Verantwortung gerecht.

Der Preis, den Organisationen für diese Strukturierung bezahlen, ist Koordinationsaufwand. Der wächst verständlicherweise mit der Größe der Organisation und benötigt ab einer gewissen Größe eigene Teams, die verantwortlich für das Gelingen dieser Koordination sind. Die Organisation benötigt ein Management.

Autonomie ist…

Autonomie ist erreicht, wenn ein Individuum sich in Bezug auf seine Entscheidungen um zwei Dinge keine Gedanken machen muss: Erstens, die Voraussetzungen, die andere erfüllen müssen, um die Entscheidung treffen zu können. Zweitens, die Konsequenzen, die andere als Folge der Entscheidung tragen müssen.

Es leuchtet ein, dass eine Entscheidung nicht autonom erfolgen kann, sobald eine der beiden Bedingungen nicht erfüllt ist.

Nun werden Organisationen von Menschen ins Leben gerufen, um Leistungen zu vollbringen, die ein Individuum allein nicht erreichen kann und es deshalb immer solcherlei Abhängigkeiten gibt. Die naive Schlussfolgerung an dieser Stelle könnte lauten, dass es demnach Autonomie in Organisationen nicht geben kann.

Praktisch ist das nicht ganz so einfach und da liegt eine der Paradoxien von Organisationen: Durch das Bilden von Strukturen wie Teams erreichen Organisationen, dass sich die Mitglieder um bestimmte Angelegenheiten tatsächlich keine Gedanken machen müssen. Teams in Organisationen werden allein durch die Zuschreibung von konkreten Verantwortlichkeiten in Bezug auf bestimmte Themen autonom.

Als Beispiel mag hier ein Team dienen, das sich um die Lohnbuchhaltung in der Organisation kümmert. Diese Verantwortung dieses Teams kann klar beschrieben werden und durch die Zuschreibung werden alle anderen Teams um diesen Aspekt entlastet. Die Fragen „Wie erhalte ich meinen Lohn?“, „Erhalte ich überhaupt meinen Lohn?“ und ähnliche werden in keinem Team als Vorbedingung oder Konsequenz von Entscheidungen eine Rolle spielen. Durch die Zuschreibung der Verantwortung Lohnbuchhaltung an dieses eine Team werden also die anderen Teams in Bezug auf diesen Aspekt autonom. Dieses Bild ist natürlich stark vereinfacht, verdeutlicht aber die zweite sehr grundlegende Paradoxie von Autonomie in Organisationen: Wenn ich Verantwortung übernehme, werden die anderen autonom, will ich autonom werden, müssen die anderen Verantwortung übernehmen.

Diese Art von Autonomie lässt sich in Bezug auf manche Themenbereiche - wie den der Lohnbuchhaltung - sehr klar formulieren und herstellen. In anderen Bereichen ist das nicht so einfach möglich. Dazu gehören inhärent voneinander abhängige Bereiche wie Produktentwicklung und Produktion in einem Industrieunternehmen oder das Vertriebsteam und die Projektteams in einem Softwarehaus. Hier werden Autonomiegrade wesentlich geringer sein, da Entscheidungen in dem einen Team Konsequenzen für ein anderes Team bedeuten - oder Vorbedingungen haben.

…Verhandlungssache

Die Ausgestaltung dieser Autonomiegrade - und der Aspekte hinsichtlich derer gerade keine Autonomie herrschen kann oder soll - ist in allen Organisationen Gegenstand immerwährender Verhandlungen. Diese Verhandlungen benötigen Kommunikation und damit Zeit und sind, abhängig vom Verhandlungsgeschick der beteiligten Organisationsmitglieder, unterschiedlich schwierig. In aller Regel sind die als schwierig empfundenen Verhandlungen dann die Ursache für den - nachvollziehbaren - Wunsch nach mehr Autonomie. Warum das ein Wunsch bleiben wird, sollte nun aber klar sein.

In der nächsten Kolumne wird die Paradoxie betrachtet, warum ein Mehr an Autonomie den Kommunikationsbedarf in einer Organisation eher ansteigen lässt, als dass sie ihn reduziert.