Vertrauen

Im ersten Teil soll die Frage betrachtet werden, inwiefern Crypto-Technologien [1] Vertrauen dort erzeugen können, wo initial kein Vertrauen zwischen Parteien existiert. Nun ist Vertrauen ein Begriff, der im Alltag häufig benutzt wird und von dem die meisten Menschen eine Vorstellung haben, was sie damit meinen – um die Einflussmöglichkeiten von Crypto-Technologien zu besprechen, bedarf es aber einer Definition.

Vertrauen kann aus einer psychologischen und einer soziologischen Perspektive betrachtet werden. In der psychologischen Perspektive ist Vertrauen ein Aspekt der Beziehung zwischen zwei Personen. Dabei wird Vertrauen in der Regel mit einer positiven Zukunftserwartung in Bezug auf Handlungen einer anderen Person verbunden. Diese Erwartungen gehen mit einem persönlichen Risiko der Vertrauen gebenden Person einher. Bricht die andere Person das Vertrauen, erlebt die Vertrauen gebende Person zumeist negative Konsequenzen. Da niemand solche negativen Konsequenzen erleben möchte, hat Vertrauen und dessen Einhaltung in zwischenmenschlichen Beziehungen eine hohe Bedeutung.

Die soziologische Perspektive auf Vertrauen ist weiter gefasst und für die Betrachtung von Crypto-Technologien ungleich interessanter. Vertrauen im soziologischen Sinn ist ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Im Unterschied zur oben beschriebenen psychologischen Perspektive spielt sich das Vertrauen hier nicht nur zwischen zwei Personen ab, sondern kann auch zwischen Personen und Institutionen [2] – und sogar zwischen Institutionen – existieren.

Da es prinzipiell nicht möglich ist, zukünftiges Verhalten anderer sicher vorherzusagen, bewegen sich Menschen innerhalb von sozialen Systemen immer unter Unsicherheit. Diese Unsicherheit erzeugt eine große Komplexität – die Menge der möglichen Verhalten anderer ist nahezu unbegrenzt. Von plausiblen Annahmen über das Verhalten anderer auszugehen, etwa dass auf ein „Guten Tag“ mit einem ebensolchen Gruß geantwortet wird, hilft diese Komplexität zu reduzieren. Ermöglicht wird das durch das Beobachten der Reaktionen anderer und das Wiederholen von eigenem Verhalten, das beim Gegenüber zum erwünschten Verhalten geführt hat.

Wird diese Strategie zur Grundannahme, kann von Vertrauen gesprochen werden – der Einzelne hat das Gefühl, zu verstehen und zu beeinflussen, was als Nächstes passiert. Das korrekte Antizipieren von Aktionen und Reaktionen Anderer erzeugt Vertrauen in sich selbst und in das soziale System, in dem man sich befindet. Luhmann brachte das auf den Punkt mit den Worten: Vertrauen entsteht, wenn Gelegenheiten zum Vertrauensbruch nicht genutzt werden.

Abwesenheit von Vertrauen

Auf dieser sehr klaren Formulierung von Luhmann aufbauend, lässt sich gut erklären, wie in sozialen Systemen, die gerade erst entstehen, Vertrauen aufgebaut werden kann. Ein solches System kann ein Handel zwischen zwei Institutionen sein, die bisher nichts miteinander zu tun hatten. Es gab somit noch keine Gelegenheit zum Vertrauensbruch – was bedeutet, dass noch kein Vertrauen entstanden sein kann.

Dieser Zustand – die Abwesenheit von Vertrauen – wird häufig als Misstrauen bezeichnet. Allerdings hat Luhmann sehr klar ausgeführt, dass Misstrauen ein funktionales Äquivalent zu Vertrauen ist und nicht etwa das Gegenteil. Auch Misstrauen reduziert soziale Komplexität, nur sind die Annahmen dabei andere.

Die entscheidende Frage ist an dieser Stelle also, wie in einer Situation der Abwesenheit von Vertrauen eine Handlung möglich wird, die Vertrauen erfordert. Für die oben genannten Institutionen gibt es zwei Wege, das zu erreichen. Die Prämisse dabei ist, dass beide Institutionen Teil eines sozialen Systems sind, das prinzipiell funktioniert, also beispielsweise zwei Unternehmen, die in der EU ansässig sind oder zumindest auf dem Planeten Erde.

In diesem Fall lässt sich das Bilden des initialen Vertrauens externalisieren. Das geschieht regelmäßig über Treuhandverhältnisse. In so einem Verhältnis wird eine dritte Partei involviert, die von einer der beiden Institutionen eine Sicherheit – z.B. den Geldbetrag für den Handel – erhält und diesen an die zweite Institution aushändigt, wenn diese ihre Gegenleistung erbracht hat. Dieses Verhältnis bedarf keinerlei gegenseitigen Vertrauens der beiden Institutionen. Das Muster ist sehr stabil und wenn der Handel erfolgreich abgeschlossen wurde, gab es für beide Institutionen eine Gelegenheit zum Vertrauensbruch, die nicht genutzt wurde. Das Muster kann selbst dann funktionieren, wenn der Treuhänder seiner Aufgabe nicht gerecht wird.

Steht die Möglichkeit eines Treuhandverhältnisses nicht zur Verfügung, kann ein anderer Mechanismus greifen. Diesen hat Robert Axelrod in seinem Buch „The Evolution of Cooperation“ beschrieben. Dort beschreibt Axelrod am Beispiel des Iterated Prisoner’s Dilemma, wie Kooperation unter Unsicherheit entsteht. Die Prämisse dabei ist, dass es in Zukunft weitere Handel zwischen den Institutionen geben wird.

Was Axelrod herausfand war, dass das Muster des Algorithmus Tit-for-tat die stabilste und langfristig erfolgreichste Strategie für Kooperation ist. Dabei gehen zunächst beide Institutionen kooperierend in den Handel, beabsichtigen also nicht, die jeweils andere Seite zu betrügen und vollziehen in jeder weiteren Folgehandlung jeweils das nach, was die andere Seite vorher getan hat. Damit entstehen auch hier das Muster, dass Gelegenheiten zum Vertrauensbruch nicht genutzt werden und soziale Komplexität wird über den Aufbau von Vertrauen reduziert.

Vertrauen in Crypto-Technologie

Eines der Versprechen, das häufig in Bezug auf Crypto-Technologien gemacht wird, ist, dass diese Kooperation zwischen einander unbekannten Parteien erlauben. Dabei werden mehrere implizite Annahmen gemacht, die es zu prüfen gilt.

Zunächst ist nicht gesagt, dass zwischen einander unbekannten Parteien kein Vertrauen existiert, auf dessen Grundlage Kooperation möglich ist. Situationen, in denen auch zwischen unbekannten Parteien ein initiales Vertrauen existiert, finden sich in der Wirtschaft ständig. Ein Beispiel wären zwei Personen, die im gleichen Unternehmen tätig sind, aber noch nie miteinander gearbeitet haben. Die Tatsache, dass beide im gleichen Unternehmen tätig sind, zeigt beiden, dass diese Institution beiden grundlegend vertraut – ein externes Vertrauen, dass beide zunächst adaptieren können.

Als zweite Annahme gilt die Prämisse, dass die beteiligten Parteien in die Crypto-Technologie vertrauen. Für dieses Vertrauen gelten alle Prämissen, die auch für das Vertrauen in die jeweils andere Partei gelten, da die Crypto-Technologie entweder selbst als Institution erscheint oder durch eine Institution betrieben wird. In beiden Fällen tritt die Crypto-Technologie zunächst selbst als eine dritte, bisher unbekannte Partei auf.

Die dritte Annahme ist die Legitimation der Crypto-Technologie, als Treuhänder aufzutreten. Diese Legitimation ist aber nicht automatisch der Fall, sondern nur, wenn sie einerseits neutral gegenüber den beteiligten Parteien ist und wenn sie tatsächlich die zu hinterlegende Sicherheit abbilden kann. Das ist zumindest theoretisch bei Crypto-Währungen der Fall.

Sollte die erste Annahme zutreffen und die Externalisierung des Vertrauens nicht möglich sein, muss das zwangsläufig auch für die Externalisierung des Vertrauens an die Crypto-Technologie gelten – sie kann nicht aus dem Nichts entstehen und um ihr zu vertrauen, muss es mindestens eine weitere neutrale Instanz geben. In diesem Fall kann die Crypto-Technologie nur dokumentieren, wenn sich beide Parteien in die Lage begeben, zu kooperieren – und es gilt Robert Axelrods Beobachtung zum Iterated Prisoner’s Dilemma. Der Nutzen dieser Dokumentation ist begrenzt, wie Axelrod eindrucksvoll bewiesen hat: in der konkreten Beziehung beider Parteien ist immer nur die letzte Handlung relevant und dritte können daraus keinerlei sichere Schlussfolgerungen über ein Verhalten ihnen gegenüber ziehen.

Die zweite Annahme allein reicht ebenfalls nicht über das Dokumentieren des Vertrauens hinaus. Das gegenseitige Vertrauen beider Parteien lässt sich nicht aus dem Vertrauen in die dritte Partei erzeugen, solange dieses konsequenzlos bleibt.

Die Konsequenz wird erst mit der dritten Annahme erreicht. Wenn die Crypto-Technologie dabei nicht, wie üblicherweise das Treuhänderprinzip, durch Gesetze legitimiert ist, entstehen hier allerdings Risiken für beide Parteien, die bei einem klassischen Treuhandverhältnis praktisch ausgeschlossen sind, nämlich Wechselkursrisiken bei der Verwendung von Crypto-Währungen ohne feste Wechselkurse und Verlustrisiken bei einer Zahlungsunfähigkeit der Betreiber. Der praktische Nutzen geht also auch hier kaum über die Dokumentation des Vertrauens hinaus.

Vertrauen in Vergessen

Ein letzter Punkt, der gerne erwähnt wird, insbesondere bei Blockchain-Technologien, ist die dauerhafte Nachvollziehbarkeit von Vertrauen.

Das ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen können sich Motive für Handeln ändern. Die Daten der Vergangenheit sagen nichts darüber aus, ob sich eine Person oder eine Institution in Zukunft kooperativ verhalten wird – das Einzige, was dahingehend relevant ist, ist das Interesse an einer weiteren Kooperation. Zum anderen verkompliziert das Vorhandensein solcher Daten Rehabilitation. Der von Robert Axelrod ausgeschriebene Wettbewerb hat gezeigt, dass das Vergessen früherer Vertrauensbrüche eine wichtige Funktion erfüllt, um in Zukunft kooperieren zu können. Die Fähigkeit des Vergebens ist fundamental in menschlichen Gesellschaften. Eine Dokumentation früherer Vertrauensbrüche ist für zukünftige Kooperationen weitestgehend nutzlos, vielmehr sogar kontraproduktiv.

Letztendlich lässt sich in Bezug auf Vertrauen sagen: Vertrauen lässt sich a-poste- riori mit Crypto-Technologien zuverlässig dokumentieren. Erzeugen können sie Vertrauen nicht. Das geschieht nur durch menschliches Handeln mit dem Willen, gemeinsam Zukunft zu gestalten. Und das ist ein ermutigender Gedanke.

Literatur

  1. Im Folgenden wird neutral von Crypto–Technologien geschrieben, wobei nicht zwischen konkreten Lösungen wie Blockchain und anderen Distributed Ledger–Technologien differenziert wird.  ↩

  2. Institutionen können hier sowohl gesellschaftliche Institutionen wie Polizei oder Gerichte sein, als auch Organisationen wie Vereine und Unternehmen.  ↩

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