Es gibt viele Unterschiedlichkeiten in der IT: unterschiedliche Programmiersprachen, unterschiedliche Frameworks, unterschiedliche Datenbanken, unterschiedliche Stärken bei den Tastaturanschlägen etc. Eine große Auswahl an Möglichkeiten, über die innerhalb von Entwicklungsteams mit viel Leidenschaft diskutiert werden kann.
Dann wiederum gibt es Bereiche mit sehr wenigen Unterschiedlichkeiten: zum Beispiel Religion, Alter, oder Behinderung. Über eine weitere Ebene möchte ich heute schreiben: das Geschlecht. Diesbezüglich besteht wenig Diversität; es sind vornehmlich Männer, die sich in IT-Teams tummeln.
Ich arbeite als Frau in einem Beratungsunternehmen für Entwicklungs- und Architekturthemen. In meinem Projektteam bin ich die einzige Frau. Und das ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen, die diesen Artikel lesen, ähnliche Erfahrungen in IT-Teams gemacht haben. Die Statistiken bestätigen dies auch ganz klar: Der Anteil von Absolventinnen der Informatik liegt bei unter 20%[1]. Zwei von zehn – und das bei einem weiblichen Bevölkerungsanteil von 51%. Und dabei gibt es dafür nicht einen logischen Grund, den man schnell aus dem Hut zaubern könnte. Außer natürlich die klassischen „Stammtischparolen“ wie: „Frauen können kein Mathe“, „Frauen sind nicht belastbar“, „Frauen interessieren sich nicht für Zahlen“… Nein, mit dieser Art von Argumentation möchte ich mich hier gar nicht befassen. Ich bin daran interessiert, die tatsächlichen Gründe zu verstehen: warum gibt es so wenig Frauen, die Software entwickeln?
Ich habe selbst eine kleine, in keinster Weise repräsentative Umfrage durchgeführt. Ich habe im Internet nach Gründen geschaut, ich habe Kolleg*innen, Freund*innen gefragt: Wo sind die Frauen? Einige ausgewählte Antworten:
Frauen haben Hemmungen, in ein berufliches Umfeld zu gehen, das derart männerdominiert ist.
Das hört sich für mich erstmal logisch an. Mädchen und Frauen werden tendenziell zu Bescheidenheit, Perfektion und „lieb sein“ erzogen – solche Eigenschaften helfen eventuell nicht, wenn sie in ein berufliches Milieu wollen, dass vom „starken Geschlecht“ dominiert ist.
Die meisten IT-Unternehmen setzen immer noch auf traditionelle Arbeitsstrukturen.
Es wird Wert auf Präsenzzeit gelegt, bzw. kein Home Office ermöglicht, es gibt nur Vollzeitstellen, Männer werden nicht ermutigt, in Elternzeit zu gehen, etc. Und da es immer noch so ist, dass Frauen die Hauptverantwortung bei der Kindererziehung und Hausarbeit tragen (auch Arbeit, nur leider unbezahlt), ist die Schwelle in diesen Unternehmen für Frauen mit Kindern (zu) hoch. Klingt für mich ebenfalls nach einem schlüssigen Grund.
Es gibt schlicht und einfach zu wenige Frauen, die Informatik studieren.
Jetzt komme ich nochmal auf die oben genannte Zahl zurück: Der Anteil von Absolventinnen der Informatik lag 2017 bei 19%[2], der Anteil bei den Erstsemestern lag im gleichen Jahr bei 25%[3].
Fehlende Vorbilder und traditionelle Arbeitsstrukturen
An dieser Zahl können wir sehen: die letzte Begründung, die genannt wurde, ist absolut wahr: nicht mal ein Fünftel aller Informatik-Absolventen sind Frauen. Auf der Suche nach Gründen dafür landen wir bei einem Umstand, den ich weiter oben bereits angedeutet habe: Mädchen werden anders erzogen als Jungen. Mädchen werden auch im 21. Jahrhundert zu selten von ihrem Umfeld (Eltern/Erzieher*innen/Lehrer*innen, Medien) dazu ermuntert, sich mit Naturwissenschaften und Technik auseinanderzusetzen. Kinder sind, was das Fördern ihrer Interessen angeht, auf die Unterstützung ihres erwachsenen Umfelds angewiesen. Und auch, wenn ein Mädchen ein Talent für den Umgang mit Zahlen hat, ist es trotzdem davon abhängig, dass seine Eltern eben diese Begabung erkennen und fördern. Wenn es bei jeder Gelegenheit mit Puppen, Haarspangen und Dingen zum „Schön-machen“ bombardiert wird, ist das sicher nicht verwerflich – es wird aber ihr Interesse in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Tatsächlich ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Mädchen sich in einem Alter von 11–16 Jahren am meisten für Informatik und Technik interessieren[4]. Anschließend sinkt das Interesse rapide[5]. Bei der Erziehung und Sozialisation von Jungen gibt es dazu ein anderes Selbstverständnis.
Und, ich habe es bereits erwähnt: Mädchen werden häufig immer noch zu Bescheidenheit erzogen[6] und dazu, ein „gutes Mädchen“ zu sein. Eigenschaften, die nicht helfen, wenn Frauen in ein berufliches Umfeld gehen, in dem es kaum Frauen gibt. Das erfordert im Zweifelsfall mehr Selbstvertrauen und Mut (und erwiesenermaßen haben Mädchen weniger Selbstvertrauen[7] in ihre Fähigkeiten als Jungs) denn hier fehlt es der Frau an
- Möglichkeiten, zu netzwerken
- weiblichen Vorbildern
- weiblicher Sicht auf Dinge[8]. Vieles wird aus einer Männerperspektive gelöst, was für Frauen dann gegebenenfalls nicht passt.
Ich möchte noch auf das zweite Argument meiner nicht-repräsentativen Befragung zu sprechen kommen: konservative und unflexible Arbeitsstrukturen[9]. Die werden zum Problem, wenn zwei Menschen Kinder bekommen. Denn irgendjemand (meistens die Frau) muss sich auch nach der vom Staat bezahlten Elternzeit um die Kinder kümmern. Noch dazu werden Kinder krank oder haben Schulferien. Da es nach wie vor so ist, dass die Betreuung zu großen Teilen von den Frauen geleistet wird, brauchen sie Arbeitsstrukturen, die sich mit der Kinderbetreuung vereinbaren lassen; flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Home Office zu machen oder in Teilzeit zu gehen (und dann keine wichtigen Meetings mehr in den späteren Nachmittag zu legen wenn die Frauen ihr Kind abholen). Übrigens sind solche Maßnahmen die beste Werbung für ein Unternehmen, das seinen Frauenanteil erhöhen will. Wenn Entwickler*innen sehen, dass ein Unternehmen im IT-Bereich diese Dinge mitdenkt, werden Frauen dieses Unternehmen als Arbeitgeber in Betracht ziehen. Dies wird wiederum eine positive Wirkung auf andere Frauen haben, die sich ggf. eher in einer Firma bewerben, in der Frauen präsent sind.
Was tun?
Nun haben wir vielleicht eine Ahnung davon, warum es so wenige Frauen in der IT gibt. Sicherlich bestehen noch viel mehr Gründe – aber das würde hier den Rahmen sprengen. Einige werden sich vielleicht nun fragen: was genau ist denn das Problem daran? Was ist schlecht daran, dass es mehr Männer als Frauen in der IT gibt? Leidet irgendjemand darunter? Nun, die Antwort auf die letzte Frage lautet: ja. Zum Einen leiden diejenigen darunter, die als Entwicklerinnen hätten beruflich erfolgreich sein können – es aber aus oben genannten Gründen nicht sind. Und es leiden die darunter, die tatsächlich als Entwicklerin in Teams ohne Geschlechtsgenossin arbeiten. Ich behaupte außerdem, dass auch die männlichen Entwickler darunter leiden und dass es gut für Teams ist, wenn sie geschlechtsgemischt sind. Es heißt beispielsweise, das gemischte Teams kreativer und kommunikativer[10] arbeiten und es gibt Studien, die belegen, dass Diversität mit geschäftlichem Erfolg einhergeht[11].
Und von den Faktoren Kommunikation und Geschäftserfolg abgesehen: Wenn wir den Frauenanteil in den Informationstechnologien nicht erhöhen, reproduzieren wir dieselben Probleme, dieselben Vorurteile immer wieder, ohne es zu merken. Dieses Phänomen nennt sich “Gender Data Gap” und beschreibt den Umstand, dass die Welt zu einem großen Teil von Männern erforscht wird und somit Frauen bei Forschung und Entwicklung nicht berücksichtigt werden. Wer arbeitet z.B. an künstlicher Intelligenz? An IoT? Überwiegend Männer. Doch Frauen sind zu einem großen Teil diejenigen, die diese Systeme nutzen (etwa im Gesundheitswesen). Sie müssen also aktiv an der Entwicklung dieser Dinge beteiligt sein. Es gibt weitere Beispiele[12]:
- so wurde bei der Entwicklung der App “Health” durch Apple zwar an einen Schrittzähler, Blutdruckmessung und Promille-Messung gedacht. Es gab jedoch kein einziges Tool, um den Zyklus der Frau zu tracken. Eine Funktion, die für Frauen viel wichtiger ist, als ein Schrittzähler.
- Siri konnte viele Jahre ausgiebig Informationen zu Bordellen und Viagraanbietern bereitstellen, aber sie kannte keine Anlaufstellen für Opfer von sexuellem Missbrauch.
- die Spracherkennungssoftware von Google ist auf das Erkennen tiefer Stimmen programmiert und erkennt männliche Spracheingaben besser.
- Smart Watches von Apple waren zu groß für viele weibliche Handgelenke.
Es werden sich noch mehr Beispiele finden lassen, die darauf hinweisen, das Frauen nicht an der Entwicklung beteiligt waren – oder ihre Sichtweise aus anderen Gründen nicht berücksichtigt wurde. Unternehmen, die effiziente Teams mit vielseitiger Kommunikation und umfassender Perspektive wollen, tun also gut daran, Frauen zu beschäftigen.
Was können Unternehmen tun, um den Frauenanteil zu erhöhen?
- sie können Frauen einstellen,
- sie können Frauen fördern,
- sie können die Frauen in der Firma fragen, wie sie sich im Unternehmen fühlen,
- sie können – wie bereits oben beschrieben – flexiblere Arbeitsstrukturen einführen,
- sie können die Männer ermutigen, sich in der Kinderbetreuung gleichwertig zu engagieren und ihre Arbeitsstrukturen dementsprechend anpassen. Dann haben die Frauen mehr Zeit zum Arbeiten,
- sie können ihren Eindruck nach außen reflektieren: wie ist das Marketing gestaltet? Fühlen sich Frauen dadurch angesprochen oder sind Stellenanzeigen/Marketing auf Männer ausgerichtet?
- sie können sich bei Konferenzen einbringen, die Wert auf Diversität und Speaker*innen legen,
- sie können im Unternehmen die Möglichkeit für Frauen-Netzwerke/Mentor*innenprogramme schaffen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Mehr Frauen in der IT führen zu mehr Diversität und damit kreativeren Lösungsansätzen, da verschiedene Blickwinkel in die Problemanalyse einfließen. Diverse Teams kommunzieren insgesamt mehr, sind erfolgreicher und stehen somit für erfolgreiche Unternehmen. Die Frauen kommen aber unter den jetzigen Voraussetzungen nicht von alleine, sondern es ist auch an den Unternehmen, hier kreativ zu werden und ihre Unternehmensstrukturen kritisch zu hinterfragen.
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https://www.komm–mach–mint.de/Service/Daten–Fakten/2017/Absolventinnen–und–Absolventen–in–ausgewaehlten–Studienbereichen–der–Faechergruppe–Ingenieurwissenschaften–im–Pruefungsjahr–2017 ↩
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https://www.komm–mach–mint.de/Service/Daten–Fakten/2017/Absolventinnen–und–Absolventen–in–ausgewaehlten–Studienbereichen–der–Faechergruppe–Ingenieurwissenschaften–im–Pruefungsjahr–2017 ↩
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https://www.komm–mach–mint.de/Presse/Pressemitteilungen/Zahl–der–Erstsemester–und–Absolvent–innen–zeigt–positive–Entwicklung ↩
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https://news.microsoft.com/de–de/microsoft–studie–mehr–frauen–mint–berufen/ ↩
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https://t3n.de/news/maedchen–mint–microsoft–studie–817965/ ↩
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https://www.tagesspiegel.de/wissen/gender–frueh–gelernte–stereotypen/19319288.html ↩
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https://editionf.com/mute–keine–perfektion–maedchen–tedtalk/ ↩
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https://news.microsoft.com/europe/features/dont–european–girls–like–science–technology/#sm.00000k58yve5n2dzktcdxh79eb4j7 ↩
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https://news.kununu.com/vereinbarkeit–von–familie–und–beruf–nach–branchen/ ↩
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https://www.ifw–kiel.de/de/publikationen/das–ifw–in–den–medien/2017/march/frauen–und–maenner–gemischte–teams–faellen–bessere–entscheidungen/ ↩
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https://www.mckinsey.com/de/news/presse/neue–studie–belegt–zusammenhang–zwischen–diversitat–und–geschaftserfolg ↩
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https://imgegenteil.de/blog/gender–data–gap–wie–die–daten–die–unsere–welt–formen–maenner–bevorzugen–und–frauen–vergessen–technik–sollte–fuer–alle–sein/ ↩