CTO NEED TO KNOW Podcast

Legacy-Modernisierung: Der Big Bang macht die Welt rosig

Zu Gast: Marcel Weiß (neunetz.com, Exchanges)

Martina Freers und Marcel Weiß sprechen darüber, warum die Modernisierung von Legacy-Systemen weit mehr als nur ein IT-Projekt ist. Es geht um die Balance zwischen Innovation und Erhalt, um die Umwandlung von technischen Schulden in Geschäftswert. Wir besprechen, wie man Legacy-Systeme nicht nur am Laufen hält, sondern sie zu Treibern des Unternehmenserfolgs macht. Unser Technology Briefing zum Thema, das in der Folge erwähnt wird, findet Ihr in den Shownotes.
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Martina Freers Hallo zusammen! Herzlich willkommen zu unserer neuen Podcast-Reihe für Entscheider und Entscheiderinnen. Ich bin Martina Freers, bin Principal Consultant und Teil der Geschäftsleitung bei der INNOQ und ich habe heute bei mir, Marcel. Marcel, möchtest du dich kurz vorstellen?

Marcel Weiß Hallo, ich bin Marcel Weiß. Ich bin freier Strategy Analyst und Publizist und arbeite zu Plattformthemen, digitalen Themen, digitaler Wirtschaft und habe unter anderem in der ersten Hälfte des Jahres mit INNOQ zusammen das erste Briefing zu Entscheiderinnen geschrieben zu Large Language Models und Generativer KI. Und jetzt wollen wir heute mal über ein ganz anderes Thema, was aber auch wichtig für Entscheiderinnen ist, sprechen. Und zwar das zweite Briefing, was Ihr jetzt gemacht hat, und zwar zu Legacy-Systemen und zur Modernisierung. Damit wollen wir uns heute beschäftigen.

Martina Freers Genau. Spannendes Feld, Legacy-Systeme. Oft in Verruf möchte keiner seine Finger dran legen. Alles kompliziert. Jetzt lass uns mal kurz sprechen. Wie würdest du denn Legacy-Systeme überhaupt definieren? Wir schmeißen immer mit dem Begriff um sich herum. Aber kurz mal, wovon reden wir hier eigentlich?

Marcel Weiß Ich würde Legacy Systeme so definieren, dass es Systeme sind, die aus einem veralteten Kontext kommen. Das können unterschiedliche Gründe sein, das kann ein technischer Hintergrund sein, das kann ein Geschäftsfeld sein oder interne Prozesse oder wie auch immer. Aber ich würde sagen, Legacy Systeme, das sind Systeme, die man genau so heute nicht wieder bauen würde, die man zwar noch im Einsatz hat, aber die man nicht so noch mal umsetzen würde, aus welchen Gründen auch immer. Und da folgen ganz viele Folgen im Alltag daraus. Im Briefing haben das die Kollegen und Kolleginnen auch schon ausgearbeitet, dass es ganz viele aus diesem Kontext heraus Dinge passieren können, dass man vielleicht nicht mehr so effizient arbeiten kann, dass auch Inkompatibilitäten damit einhergehen können, was etwa Dateiformate angeht. Und das sind dann alles so Dinge, man schleift das dann so quasi ein wenig mit, es funktioniert noch und es ist, wie du schon sagst, jetzt nicht so ein aufregendes Thema, sondern eins, was man gerne auch ausblendet. Im ersten Briefing haben wir ein Thema gehabt, das ist sehr innovativ und das macht Spaß, sich damit zu beschäftigen. Und Legacy-System ist etwas, da hat man jetzt nicht so Spaß, sich als CTO damit auseinanderzusetzen. Aber im Briefing haben wir auch viele Themen. Ich habe auch einen Text beigetragen zu dem Briefing. Die haben auch über viele Gründe geschrieben, warum man das nicht einfach ausblenden kann, auch wenn es vielleicht jetzt gerade im Alltag noch soweit funktioniert, dass es noch läuft.

Martina Freers Ich glaube, man darf auch nicht unterschätzen. Legacy Systeme sind meistens auch ein Riesen-Unternehmenswert, weil da die Fachlichkeit auch drinsteckt, die das Unternehmen erfolgreich gemacht hat und dafür auch sorgt, weiter Umsatz zu machen. Und das ist auch genau diese große Diskussion. Wir sind darauf angewiesen, es muss funktionieren, weil einfach da ein Riesengeschäftswert dranhängt. Und auf der anderen Seite wird es immer langsamer, es wird riskanter, risikoanfälliger, Security. Das sind alles Themen, die einfach in einem alten System so nicht mehr gegeben sind. Und trotzdem leistet das immer noch einen enormen Beitrag zum Geschäftswert des Unternehmens. Und da sind wir natürlich immer wieder in der Diskussion, neue Features zu entwickeln versus technische Schulden abzubauen, zu modernisieren. Und wir unterschätzen immer, wie wichtig das wirklich ist. Weil es geht nicht darum zu sagen: Das ist alt, das braucht kein Mensch mehr, sondern es geht eher darum herauszufinden: Wie können wir jetzt vorwärtsblicken? Wie kommen wir damit auch dahin, dass wir zukünftig damit unser Geld verdienen? Was davon ist noch legitim? Was ist nicht legitim? Was steckt da überhaupt drin? Und ganz oft weiß man ja noch nicht mal welche Fachlichkeit da überhaupt drinnen ist. Und das Wissen über dieses System, wie es funktioniert, leider auch in dem Unternehmen immer mehr schwindet.

Marcel Weiß Ja, das stimmt. Das sind alles sehr gute Punkte. Als ich die anderen Texte auch gelesen habe, was ich sehr interessant fand und das finde ich sowieso gut an den Briefings. Vielleicht bin ich auch befangen, weil ich auch an beiden mitgearbeitet habe. Jetzt hier nicht so sehr, aber bei dem ersten, aber bei beiden. Ich kann es wirklich nur empfehlen, weil es nicht einfach nur Briefings sind, in denen einem gesagt wird: Jetzt alles neu machen. Sondern auch der holistische Blick auch draufgelegt wird und dass man auch sagt: Okay, dieses Thema hat Vorteile und Nachteil. Bzw. Man muss verschiedene Aspekte mit betrachten, die irgendwelche Richtungen gehen können. Und das hast du jetzt auch schon so ein bisschen angedeutet. Also nicht einfach so: Das Legacy System ist etwas Altes, das muss jetzt erneuert werden. Das kann zum Teil ein sehr großer Teil des Unternehmens sein und im Kern des Unternehmens stehen. Und da hängt nicht nur die Technik dran, sondern auch die Belegschaft. Auch Arbeitskräfte dran, Karrieren vielleicht auch. Und das hat der, ich weiß gerade nicht, welcher Kollege das geschrieben hat, das wird auch im Briefing angesprochen, dass es auch wichtig ist, die bestehenden Arbeitskräfte oder Arbeitnehmerinnen auch mitzunehmen. Wenn man jetzt etwas erneuert und sich dann auch Dinge vielleicht auch radikal ändern, dass man nicht einfach nur auf die Technik gucken kann, wenn man sagt: Okay, wir müssen jetzt hier an dieses Legacy System ran.

Martina Freers Wir hören oft auch den Spruch: Es funktioniert doch. Warum jetzt? Und auf der anderen Seite hört man: Oh Gott, ständig wollen sie refactoren. Ständig reden wir über technische Schulden abbauen. Wir müssen irgendwo hinkommen, da miteinander über das Gleiche zu reden. Weil es geht nicht darum, einfach nur zu refactoren und sich da auszutoben, sondern der Anspruch ist ja, das zukunftsfähig zu machen. Und auf der anderen Seite haben wir dann auch den Vertrieb, der vielleicht schon die nächsten Features verkauft hat, wo natürlich Lieferdruck herrscht. Die Time-to-Market ist vielleicht eh schon nicht mehr so gut, weil durch das komplexe System einfach die Entwicklung auch über die Jahre langsamer geworden ist. Und das ist eine Schleife oder so ein Dauerbrenner, wo man immer wieder darüber diskutiert. Und da ist die spannende Frage: Was machen wir denn damit? Wie gehen wir denn jetzt damit vor? Weil sonst ist es eigentlich klar, der Big Bang macht alles neu und dann wird die Welt rosig. Das ist es ja nicht, weil wir reden natürlich auch von Riesen Invest. Die Systeme sind über Jahre hinweg entstanden, nicht innerhalb von einem halben Jahr, sondern über 10, 15 Jahre, teilweise, manchmal sogar noch länger. Und das ist auch eine Illusion zu glauben, dass man da einfach innerhalb von einem Jahr das neu ersetzt und dann die Welt wieder rosig ist und man die nächsten 10, 15 Jahre seine Ruhe damit hat.

Marcel Weiß Ja, genau. Ich beschäftige mich ja mit Unternehmensstrategien. Ich bin da eher auf der strategischen Ebene unterwegs. Aus meiner Sicht heraus. Das hatte ich auch bei mir im Text auch geschrieben, halte ich es für wichtig, dass man als CTO einen holistischen Blick auf das Unternehmen entsprechend dann auch wirft, dass man nicht sagt: Die Systeme funktionieren noch und man wartet dann, bis man mit dem zur Wand steht, um dann irgendwann dann ran zu gehen, weil dann wird es wirklich problematisch und stressig. Das kann man ganz oft in Unternehmen beobachten. Nicht nur bei Legacy Systeme, auch in anderen anderen Bereichen, Geschäftsfelder usw. Wenn man da mal herangeht, dass es sehr schwer ist, so proaktiv ranzugehen, wenn man sagt: Okay, das funktioniert noch, aber wir müssen jetzt hier trotzdem rangehen und schauen, wir müssen nicht alles neu machen, vielleicht, aber wir müssen uns mal unsere Situation anschauen und uns bewusst werden, wo wir überhaupt stehen und was unsere Handlungsoptionen sind und ob wir die angehen müssen und nicht erst warten, bis man keine Zeit mehr hat. Weil das natürlich dann auch die Basis ist, auf der man dann andere Sachen machen kann. Du hast schon gesagt, im Vertrieb. Das sind Sachen, die vom bestehenden System nur schwer unterstützt werden können. Und da reden wir noch nicht mal von Security Themen, die natürlich dann auch bei dem Feld noch mal mit reinfallen. Das ist natürlich nicht so einfach, dann auch proaktiv dann wirklich auch die Zeit zu schaffen, die Priorität zu setzen. Aber ich halte das für sehr wichtig, da einfach auch vom Time Table, vom Zeithorizont und Planungshorizont zu schauen, da möglichst früh den Ball aufzunehmen, auch wenn es vielleicht nicht das spannendste Thema ist oder erscheint und sich dann frühzeitig damit zu beschäftigen.

Martina Freers Ich kenne Unternehmen, die haben immer Angst davor, wenn der nächste Release bei sich intern ansteht. Die meisten Unternehmen, die natürlich jetzt keinen regelmäßigen Releases machen, die vielleicht viermal im Jahr, zweimal im Jahr und die letzten zwei, drei Jahre fast jedes Mal beim Release fast in einer Vollkatastrophe geendet ist. Und da fragt man sich ja schon, warum macht man das dann so lange dann auch weiter mit? Und das ist glaube so ein spannendes Thema. Wenn ich jedes Mal Angst haben muss, wenn ich was release, dass irgendwas kaputt geht, womit ich gar nicht gerechnet habe, ist es ein Anzeichen dafür, dass ich gar keinen Überblick mehr habe, was eigentlich da in dem System drinsteckt und wie die Fachlichkeit zusammenhängt und wie sie vielleicht auch miteinander verwurstet ist an der einen oder anderen Stelle und man aber trotzdem nicht sagt: Stopp. Wir müssen uns das genau anschauen, Wir müssen schauen, was wirklich die konkreten Probleme sind und da eine Strategie für entwickeln, dass wir das nach und nach in Inkrementen verbessern und wieder sicherer machen und einfach auch für uns Handhaber. Und ich glaube oft, das liegt daran, dass das einfach so ein hochkomplexes Thema ist. Da möchte keiner ran, weil nämlich keiner mehr wirklich weiß: Wo ist denn was? Wo steht denn was? Die Dokumentation ist vielleicht nicht aktuell. Jeder sagt immer: Wenn wir das anfassen. Oh, das wird aber lange dauern und da wissen wir gar nicht, was wir drin finden. Und dann gibt es natürlich die anderen, die sagen: Na, das muss alles neu gemacht werden. Und das funktioniert auch nicht, weil auf der anderen Seite sagt das Unternehmen: Warum sollen wir jetzt noch mal so viel Geld investieren, wenn wir doch schon genau dieses Geld in das System investiert haben über so lange Zeit? Da muss es einen anderen Weg geben. Und das finde ich mal ganz spannend, wie lange man eigentlich weiß, man sollte jetzt ran und dann doch nichts passiert und es sehr lange braucht, bis da strategische Entscheidungen getroffen werden, die dann dafür sorgen, dass solche Systeme dann auch inkrementell modernisiert werden.

Marcel Weiß Ja, sehr, sehr interessant sind viele Argumente, die du da bringst, die man dann auch intern vorbringen kann, sind eigentlich Argumente dafür, dass man da rein gehen müsste, wenn es kompliziert ist, wenn man nicht mehr genau weiß, wenn die Dokumentation vielleicht veraltet ist oder die früheren Expertinnen, Experten, die es gebaut haben oder sich damit auskennen, nicht nur mehr im Unternehmen sind. Wenn auch das interne Wissen, das institutionelle Wissen zurückgeht. Das sind eher Gründe, eher früher als später, sich der Aufgabe zu stellen, weil das alles Dinge sind, die sich eher noch verstärken. Und auch das Argument finde ich auch schön zu sagen: Jetzt haben wir doch schon so viel investiert, da können wir dann nicht noch mal was Neues machen, wenn das so teuer war. Das ist natürlich keine Entscheidungsgrundlage, die man da nutzen kann.

Martina Freers Ja, das ist oft der Weg dahin, weil jeder weiß, es muss was passieren. Aber dann sich wirklich hinzusetzen und strategisch zu überlegen, wo möchte man noch zukünftig hin? Wo sind denn wirklich die Mehrwerte? Was sind denn die Assets, die diese Software hat, die auch zukünftig wichtig sind? Und was sind vielleicht Dinge, die zukünftig keinen so großen Impact mehr auf den Unternehmenswert und den Erfolg des Unternehmens haben? Und auch genau zu schauen, was die Schwachstellen im System sind. Und oft sind es auch eher kleinere Schritte, die zu massiven Verbesserungen führen. Und das fängt damit an, Tests einzuführen, zu schauen, dass genau solche Releases sicherer werden und nicht mehr dafür sorgen, dass ganze Systeme runtergehen und über Tage nicht funktionieren und ein Impact auch auf die Kunden haben. Und das ist etwas, wo wir oft merken, die Leute oft einen Big Bang im Kopf haben und die das Inkrementelle und welche sinnvollen Schritte kann ich denn Step für Step gehen, während ich in meinem Tagesgeschäft und meinen Umsatz weitermache und die Systeme auch weiterlaufen, an einem laufenden System auch Modernisierung durchführen kann? Das ist etwas, wo ich mir wünschen würde, dass da mehr Offenheit wäre und auch dann mal zu sagen: Wir probieren das jetzt mal aus, weil der Invest ist natürlich viel kleiner. Man kann sagen, man kann alle drei, vier Monate schauen, dass man das da auch Budget und Zeit für einplanen und diese kleinen Fortschritte zu messen. Und ich glaube, auch wenn diese kleinen Inkremente erfolgreich sind, dann ist es auch etwas, was natürlich auch den Willen und das Backing für die Modernisierung in einem Unternehmen verstärkt. Wenn man sieht, man ist auf dem richtigen Weg und das führt zu Verbesserungen. Es muss nur jedem klar sein, dass das natürlich ein sehr langer Weg ist und nicht innerhalb von einem Jahr abgeschlossen sein wird.

Marcel Weiß Ja, das finde ich auch wichtig, dass der Option Raum nicht die zwei Alternativen sind. Wir benutzen das alte System weiter oder wir bauen komplett ein neues, sondern dass es auch möglich ist, dass man auch punktuell an bestimmten Punkten ansetzt oder weiterentwickelt. Ich habe, als ich das zweite Briefing gelesen habe, auch noch mal einen neuen Begriff gelernt, den ich so nicht kannte, und zwar: Der Evolutionist oder die Evolutionistin, Softwarearchitekturarbeit am bestehenden System. Also geht es darum, dass Kompetenz aufgebaut wird, der oder die sich mit der Weiterentwicklung des bestehenden Systems beschäftigt. Also nicht mit dem Aufbau eines neuen Systems, sondern mit der Weiterentwicklung dessen. Und das fand ich auch nochmal einen ganz interessanten Ansatzpunkt oder Denkansatz zu sagen, dass man auch in die Richtung gehen kann, dass man nicht sagen muss: Okay, wir müssen jetzt das Rad komplett neu entwickeln, situativ abhängig, vielleicht können wir das, was wir haben, nehmen und modernisieren, ohne jetzt die komplette Basis zu erneuern.

Martina Freers Ich glaube, es ist auch wichtig zu definieren, was der Treiber dafür ist. Ist es zum Beispiel, weil die Time-to-Market zu langsam ist und dein Mitbewerber viel schneller Neuerungen auf dem Markt bringen? Was natürlich mittelfristig oder langfristig dazu führt, dass man selber abgehangen ist? Oder sind das wirklich Sicherheitsthemen? Oft ist es auch die Regulatorik. Wir haben das in der Versicherungsbranche mit der BaFin Kontrolle. Das sind alles Dinge, die auch ganze Branchen zwingen Veränderungen durchzuführen, sich zu modernisieren. Wie schätzt du das ein? Wie ist denn der Wille? Haben wir Branchen, wo du sagst: Ja, die sind auf einem guten Weg? Gibt es auch Branchen, wo du denkst: Die fangen ganz schon spät damit an, hätten eigentlich schon längst was machen müssen. Oder ist das sehr jeweils unterschiedlich abhängig von den Unternehmen?

Marcel Weiß Es ist immer unterschiedlich abhängig von Unternehmen, weil es natürlich je nach Branche unterschiedliche Unternehmensstrukturen und Kostenstrukturen gibt, unterscheidet sich das schon sehr. Hier in Deutschland würde ich jetzt aber sagen, dass wir durchaus jetzt, da muss man jetzt keine Branche raus streichen, aber da haben alle durchaus die Herausforderung, Schritt zu halten, international auch. Es gibt dadurch, dass ich publizierend tätig bin, habe ich immer so ein bisschen Einblicke in die Presseverlagsbranche und da kann man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, was da zum Teil an Systemen dann eingesetzt wird, auch was du sagst. Ich glaube, dass man das durchaus über die Branchen hinweg immer wieder ähnlich beobachten kann, dass zum Teil sehr teure Systeme selbst aufgebaut werden, weil man denkt, man baut sich das genau so, wie man das gerne selbst möchte, aber dann vielleicht auch institutionell in der Organisation dann auch, aber nicht die technischen Kompetenzen dann vielleicht auch zwingend da sind, um das dann weiterzuentwickeln. Da kann man als ein Ein-Personen-Blog das bessere Content-Management-System als jeder große Presseverlag in Deutschland. Das ist sehr viel bequemer, wenn man einfach nur WordPress benutzt von der Stange. Das ist schon sehr erstaunlich, dann zum Teil, was man da beobachten kann, wie der Arbeitsalltag unnötig "verlangsamt" wird durch die einfachsten Sachen. Und das ist schon etwas, was man überall beobachten kann. Man hat die Kostenfrage und man hat natürlich auch, Menschen sind bequem. Ob das jetzt die Kundinnen und Kunden oder sind, aber selbst auch man als Manager, als Managerin. Es läuft, warum muss ich mich jetzt denn damit auch noch beschäftigen, während ich noch 20, 30 andere Sachen noch auf meinem Terminkalender habe, die auch dringend sind? Es ist immer eine Frage von Priorisierung und sich anschauen: Wo stehen wir überhaupt? Was sind überhaupt unsere Optionen? Und um sich dann noch zu fragen: Gibt es vielleicht auch sogar tief hängende Früchte, die wir hier relativ schnell umsetzen können und uns da unseren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einfacher machen zu können? Und das ist glaube ich branchenübergreifend ein Thema, wo man da jetzt nicht eine einzelne Branche zwingend herausnehmen muss. Es sind alle bequem. Es haben alle die Herausforderung, die richtige Priorisierung zu setzen und um sich anzuschauen. Ich nehme mir jetzt die Zeit und mache mir jetzt mal einen holistischen Blick auf das Unternehmen, auf unseren Tech Stack und wie wir damit arbeiten und schaue, was meine Optionen sind.

Martina Freers Ja, oft ist es auch nicht nur die IT, die sich bewegen muss. Es sind ganze Organisationen, die sich damit auch verändern müssen. Da dürfen wir auch nicht vergessen, dass diese Systeme entstanden sind, als wir vielleicht noch anders miteinander gearbeitet haben, Prozesse auch sich gar nicht so schnell verändert haben. Wir sind jetzt in einer Zeit, wo sich so viel so schnell verändert und wir uns viel häufiger anpassen müssen und auch unsere Arbeitsweise und auch unsere Fachlichkeit durch die ganze Digitalisierung sich auch verändert hat. Und das ist etwas, was glaube ich auch viele unterschätzen. Die Zusammenarbeit der Organisation mit der IT und die Fachexperten, die das Wissen haben. Was ist eigentlich wirklich das, was wir hier in den fachlichen Prozessen abbilden müssen? Was brauchen wir dann? Was unterstützt uns denn? Was würde uns denn die Arbeit einfacher machen, effektiver machen, schneller machen, kostengünstiger was auch immer? Und das ist ein Thema, was die IT nicht alleine lösen kann. Dazu muss natürlich die Organisation sich auch so verändern, dass da eine Zusammenarbeit entsteht. Und das ist natürlich auch wieder, dann reden wir über Menschen, die schon sehr lange in Unternehmen sind, sehr lange vielleicht schon die Dinge so tun, wie sie getan haben und sie auch gut gemacht haben. Und das ist auch noch eine Herausforderung, diesen Menschen zu erklären, dass sie vielleicht jetzt die Dinge anders machen werden, aber das Wissen, das sie haben. Das ist ja ein enormer Wert, der weitergegeben werden muss, der natürlich nicht verschwinden darf. Wir reden viel über Fachkräftemangel, dass wir die Leute nicht mehr haben. Und wir haben aber diese Leute immer noch im Unternehmen. Nur wir müssen die natürlich auch abholen in diesem Modernisierungsprozess. Wie bringen wir sie dazu, daran, aktiv mitzuarbeiten, ihr Wissen zu teilen und dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft im neuen System auch abgebildet wird? Das ist auch noch mal einer der Herausforderungen bei Legacy Modernisierung. Ob das jetzt auf der Fachseite oder auf der IT Seite ist.

Marcel Weiß Das ist, glaube ich, auch etwas, was man leicht unterschätzt oder vielleicht auch vernachlässigt, wenn man das angeht. Und dass man natürlich dann auch die Belegschaft entsprechend mitnimmt und einbezieht. Und wie du schon sagst, es geht nicht um die Technik, sondern um die Prozesse um die Technik dann drumherum. Und wenn man die innere Logik von einem zentralen System verändert, dann verändert man zwingend auch die Prozesse drumherum, wie das Unternehmen dann arbeitet. Und das ist dann schon wichtig, dass man das dann alles mitdenkt und mit einbezieht. Ihr macht relativ, wenn ich das richtig verstehe, relativ viel, was Legacy Modernisierung angeht, mit Kunden. Kannst du vielleicht jetzt zum Ende hin, vielleicht damit wir noch mal ein klein bisschen konkreter werden, so ein paar Dinge sagen, Vorgehensweisen oder Frameworks, die ihr einsetzt mit Kunden, um jetzt zum Beispiel sich überhaupt erst mal zu vergegenwärtigen: Wo stehen wir und was können wir machen? Was sind da so Ansätze, die ihr benutzt?

Martina Freers Ja, was wir normalerweise dringend empfehlen ist, dass du zuerst mal ein Review und eine Ist-Stand Erhebung. Wo stehen wir eigentlich? Wo sind die großen Schmerzpunkte? Wie funktioniert etwas? Und aber auch ganz wichtig: Wo soll es dann zukünftig hingehen? Was sind die strategischen Unternehmensziele? Wo sind vielleicht Märkte, Fachlichkeit, wo man sich hin entwickeln möchte? Ob das zum Beispiel Mobile Fähigkeit ist. Das ist ein ganz einfaches Thema. Viele von den alten Legacy Systemen sind dazu gar nicht fähig und das sind auch strategische Entscheidungen, die getroffen werden müssen.

Marcel Weiß Ein schönes Beispiel dafür, dass man aus einem anderen Kontext herauskommend, aus dem Desktop Internet Denke heraus und jetzt ist man in der Gegenwart, in der alle erwachsenen Menschen in Deutschland ein Smartphone haben und das ein extrem wichtiger Internetzugang ist. Und das ist ein schönes Beispiel für was ich vorhin meinte mit dem alten Kontext, aus dem man kommt, der aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen kann.

Martina Freers Ja, genau, und zu Beginn ist das enorm wichtig, weil ohne die strategischen Ziele zu verstehen und auch zu wissen, wo man sich hin entwickeln möchte, sind natürlich Entscheidungen eigentlich schwer zu treffen oder sinnvoll, Entscheidungen schwer zu treffen. Und wir raten auf jeden Fall immer dazu, wenn man diese Ist-Analyse gemacht hat, sich überlegt: Okay, was sind jetzt die ersten kleinen Schritte, die darauf einzahlen können? Und das können im Endeffekt sein, auch einfach nur die Bild Pipeline so zu modernisieren, dass das dadurch einfach eine gewisse Schnelligkeit auch wieder hergestellt werden kann. Oder einfach erstmal bestimmte Bereiche mit Test abzusichern, wo man weiß: Da geht man inhaltlich eh nicht mehr ran. Das verändert sich nicht. Aber die Gefahr ist groß, wenn wir irgendwo was anderes verändern, dass dann da wieder was passiert. Regressionstest, solche Sachen, die einfach erst mal eine gewisse Stabilität schaffen, um dann auch, wenn man neue Sachen und Veränderung implementiert, sich darauf konzentrieren zu können und mehr Kapazität für diese Dinge zu haben, indem man das alte System auf bestimmte Art und Weise absichert. Und das andere ist, was man natürlich auch machen kann, dass man, wenn man neue Fachlichkeiten umsetzt, dass man sie nicht im alten System umsetzt, sondern erst mal integriert in das alte System, die Daten weiterhin aus dem alten System benutzt, Oberflächen dann noch einbaut, die man dann im neuen System schon verwenden kann. Und diese Themen, dass man sukzessive, Stück für Stück sozusagen das alte System entkernt. Und das hängt natürlich sehr davon ab, was sind jetzt die wichtigsten Ziele, die größten Schmerzen, wenn man erst mal etwas, wo man an der Fachlichkeit weiß, da werden wir auch in dieser Zeit sehr viel verändern müssen und sehr intensiv daran arbeiten müssen. Bietet sich das vielleicht an? Dazu muss man sich aber natürlich auch wieder die Prozesse angucken, Unternehmensprozesse und Organisation. Weil sowas kann man natürlich nur neu bauen, wenn die Fachlichkeit vorhanden ist und da auch ein Miteinander da ist, dass es dann auch sinnvoll ist. Und dann gibt es auch unterschiedliche Wege, wie man das dann umsetzt und vorgeht. Das kann auch eine Mischung aus mehreren Dingen sein. Was wir nie raten, ist zu sagen: Wir fangen auf der grünen Wiese an, machen das neu. Das ist so ein großer Invest, der einfach auch zeitlich nicht zu rechtfertigen ist. Und es steckt auch wirklich viel in dem alten System drin, was man weiterverwenden kann, was über Jahre hinweg sehr gut funktioniert hat. Man muss nur identifizieren: Was sollte man angehen, was sollte man nicht angehen? Und grundsätzlich die Stabilität sicherstellen. Und auch das Thema Security, dass man sich über diese Dinge in der Zukunft erst mal nicht Gedanken machen muss und sich dann Zeit kauft, um über neue Features und Weiterentwicklung des Systems nachdenken zu können und auch was implementieren zu können.

Marcel Weiß Ja. Interessant. Das ist alles sehr sinnvoll. Dann würde ich sagen, wer sich für das Thema interessiert. Und man sollte sich dafür interessieren. Also auf jeden Fall, wenn man uns jetzt hier die knappe halbe Stunde zugehört hat, hat man auch Interesse. Dann sollte man sich auf jeden Fall das Briefing herunterladen. Der Link dazu ist auch hier in den Shownotes. Den Podcast findet man dann auch noch mal, ansonsten unter briefing.innoq.com findet man das, dann kann man sich das dann anschauen und da kann man sich noch mal ein bisschen mehr einlesen. Auch zu den verschiedenen Aspekten, die daraus gearbeitet haben, falls man denkt, man hat vielleicht noch nicht alle Aspekte erfasst. Da bekommt man einen schönen Überblick finde ich über das Thema kurz und knapp und übersichtlich. Vielen Dank.

Martina Freers Ja, ich danke dir, Marcel für deine Zeit und dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag.

Marcel Weiß Wünsche ich dir auch. Ciao.

Martina Freers Tschüss!

Principal Consultant, Geschäftsleiterin

Martina fokussiert sich als Principal Consultant und Geschäftsleiterin bei INNOQ Deutschland auf Team- und Prozessentwicklung, Stakeholder- und Anforderungsmanagement. Mit über 15 Jahren Erfahrung in internationaler Softwareentwicklung leitet sie diverse Kundenprojekte und fungiert als Coach und Beraterin. Martina ist der Überzeugung, dass eine offene, zielgerichtete Kommunikation in Teams und Projekten sowie mit Stakeholdern für den Projekterfolg entscheidend ist.

Freelance Strategy Analyst, neunetz.com, Exchanges

Marcel publiziert seit 2006 auf neunetz.com zu digitalen Tech-Entwicklungen in der Wirtschaft und arbeitet als freier Strategy Analyst und Berater.