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Dieser Artikel ist Teil einer Reihe.
- Teil 1: Gängige Methoden im Umfeld soziotechnischer Architekturen
- Teil 2: Plattformen, Teams und APIs: Wie passt das zusammen?
- Teil 3: Soziotechnische Architektur als Wettbewerbsvorteil (dieser Artikel)
Die Digitalisierung macht immer schnellere Anpassungen an Marktveränderungen notwendig. Gleichzeitig wird in den Unternehmen das Wissen über Kundenwünsche, Regularien, Budgets, Technologie, Prozesse und viele andere relevante Dimensionen der Wertschöpfungskette auf immer mehr Köpfe verteilt, um jede einzelne dieser Dimensionen mit Spezialist:innen optimieren zu können.
Das Hinterfragen und Optimieren der aktuellen Ziele und der damit verbundenen Prozesse und Lösungen wird jedoch deutlich erschwert, wenn für eine einzelne Wertschöpfungskette das Wissen vieler Beteiligter zunächst zu einem Gesamtbild zusammengeführt werden muss, bevor eine Analyse oder gar Optimierung erfolgen kann.
Eine soziotechnische Architektur hat den Anspruch, diese Dimensionen ganzheitlich zu betrachten und bei der Gestaltung der Strukturen eine Abwägung der verschiedenen Interessen vorzunehmen und diese transparent zu machen. Jederzeit einen Überblick über alle Dimensionen einer Wertschöpfungskette zu haben, bedeutet, diese überprüfen, besprechen und schneller ändern zu können. Unternehmen, die ihre Architektur soziotechnisch betrachten, sind daher besser in der Lage, auf volatile Kundenanforderungen, gesetzliche Rahmenbedingungen oder Markttrends zu reagieren und innovative Produkte schneller auf den Markt zu bringen.
Verbesserte Kollaboration und Mitarbeiter:innenzufriedenheit
Soziotechnische Architekturen entstehen am besten, wenn die Beteiligten in engem Austausch stehen und durch Tools unterstützt werden, die die Kommunikation fördern und die verschiedenen Wissensdimensionen in Bezug zueinander setzen.
Ein solcher Austausch ermöglicht es den Mitarbeiter:innen, abteilungsübergreifend voneinander zu lernen und gemeinschaftlich innovative Lösungen zu entwickeln, die auf die Ziele des Unternehmens ausgerichtet sind. Den eigenen Beitrag als wichtigen Teil einer Wertschöpfungskette zu erleben und mit Kolleg:innen anderer Abteilungen gemeinsam auf übergreifende Ziele hinzuarbeiten, erhöht die Mitarbeiter:innenzufriedenheit und bindet Mitarbeiter:innen an ihr Unternehmen, was wiederum die durch Fluktuation entstehenden Kosten reduziert.
Maßgeschneiderte Technologie
Da bei der soziotechnischen Architektur der Mensch als relevanter Teil der Lösung in den Mittelpunkt gestellt wird, werden seine Anforderungen stärker berücksichtigt und führen zu maßgeschneiderten Lösungen, die die Wertschöpfung der Fachbereiche optimal unterstützen. Dies führt zu gesteigerter Effizienz und weniger Arbeit an nicht-wertschöpfenden Funktionen.
Implementierung soziotechnischer Architekturen
Um soziotechnische Architekturen aktiv gestalten zu können, müssen alle relevanten Dimensionen betrachtet und in ein Gesamtbild überführt werden. Dafür gilt es einerseits, unterschiedliche Informationen und Anforderungen einzusammeln, andererseits müssen diese auch in Relation zueinander gesetzt werden, um das Zusammenwirken der Teilbereiche verstehen zu können. Dies kann für das gesamte Unternehmen oder für Teile davon erfolgen. Im Idealfall geschieht beides, wobei diese Arbeit auf unterschiedliche Köpfe verteilt wird.
Informationen erheben und dokumentieren
Alle Dimensionen eines Unternehmens jederzeit aktuell und umfassend zu dokumentieren und diese Informationen zueinander in Bezug zu setzen, kostet sehr viel Zeit. Zeit, die für operative Maßnahmen und Weiterentwicklungen fehlt. Viele Enterprise Architektur-Initiativen scheitern daran, dass sie damit beginnen, den Istzustand eines Unternehmens in allen Dimensionen zu erheben, bevor sie mit der Planung des Sollzustandes beginnen. Das kostet viel Zeit für Interviews und Abstimmungen, was zunächst wenig Mehrwert bringt. Daher ist es sinnvoller, übergreifende Dokumentationsstandards zu schaffen, ein gemeinsames Tooling einzuführen und Informationen gezielt in Bereichen zu erheben, in denen der Anpassungsdruck besonders hoch ist.
Es gilt insgesamt, die Aufwände für Dokumentation und übergreifende Abstimmungen so gering zu halten, dass noch genügend Zeit für Betrieb und Anpassungen bleibt. Gleichzeitig muss jedoch so viel übergreifend abgestimmt und kommuniziert werden, dass ein ausreichender Überblick entsteht und Entscheidungen faktenbasiert getroffen werden können.
Wichtig bei der Dokumentation ist, dass die Frage „zu welchem Zweck“ an jeder Stelle beantwortet wird. Wenn klar ist, was ein Prozess oder eine technische Implementierung für ein Ziel hat, kann der Beitrag zur Wertschöpfung sinnvoll beantwortet werden.
Rollen und Interaktionen
Enterprise Architekt:innen leiten aus den Unternehmenszielen und der Unternehmensstrategie ab, welche relevanten Geschäftsfähigkeiten durch welche IT-Fähigkeiten und Maßnahmen unterstützt werden können. Sie erheben sozusagen die Anforderungen der Unternehmensleitung und definieren, was für die Zielerreichung benötigt wird.
Requirements Engineers und Business Analyst:innen erheben konkretere Anforderungen der Fachabteilungen, die ebenfalls die Ziele des Unternehmens bedienen, aber viel detaillierter als die Artefakte der Enterprise Architektur sind.
Solution Architekt:innen nutzen diese Richtungsvorgaben, um ihre Produkt- oder Lösungsgestaltung möglichst gut auf die übergeordneten Unternehmensziele und die konkreten Anforderungen der Fachbereiche auszurichten.
Alle Ebenen beziehen relevante Betrachtungsebenen und Ansprechpartner:innen in ihre Architekturplanungen mit ein, um neben der Technologie gegebenenfalls auch Änderungen an Abläufen und Organisation zu berücksichtigen.
In vielen Unternehmen gibt es weitere Architekturrollen, wie z. B. Domänen- und Software-Architekt:innen. Allen gemein ist, dass sie verschiedene Stakeholdersichten und -wünsche in Relation zueinander setzen und eine darauf abgestimmte Lösung erarbeiten. Was sie unterscheidet, ist die Flughöhe der resultierenden Architektur.
Alle Ebenen zusammen ergeben das Gesamtbild der soziotechnischen Architektur einer Lösung.
Verbesserungsorganisation
Soziotechnische Architekturen sind keine statischen Gebilde. Vielmehr sollten sie regelmäßig überprüft und an neue Anforderungen angepasst werden. Durch eine Organisation zur kontinuierlichen Verbesserung, die regelmäßige Feedbackschleifen und Optimierungen umfasst, kann sichergestellt werden, dass die Architektur dauerhaft erfolgreich bleibt und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil schafft.
Erfolgsbeispiel aus der Praxis
Eines der bekanntesten Beispiele für ein Unternehmen, das seine Technologieentwicklung in Einklang mit seiner Organisation bringt, ist sicherlich Spotify.
Die Organisation mit Squads, Tribes, Chapters und Guilds war darauf ausgerichtet, die Komplexität der technischen Lösung handhabbar zu machen und die Zusammenarbeit der beteiligten Mitarbeiter:innen zu optimieren.
Diese gesamtheitliche Betrachtung hat so gut funktioniert, dass das Spotify-Vorgehensmodell heute als Vorlage für viele andere Unternehmen dient.
Auch wenn dabei häufig vergessen wird, dass das Spotify-Modell aus einer Zeit stammt, in der Spotify im Vergleich zu heute viel weniger Mitarbeiter:innen hatte und der Organisationsansatz die Herausforderungen großer Entwicklungsumgebungen daher noch nicht adressierte. Dementsprechend hat auch Spotify seine eigene Organisation weiterentwickelt, um Technologie und Zusammenarbeitsmodelle weiter an die veränderten Bedingungen anzupassen.
Dieser Artikel ist Teil des INNOQ Technology Briefings – unserem Report für Technologieentscheider:innen. Jetzt herunterladen und mehr zum Thema soziotechnische Architekturen erfahren.