Die Digitale Transformation und die kontinuierliche Marktentwicklung stellen Händler vor immer neue Herausforderungen. Nachhaltige und zukunftssichere Lösungen zu finden, bedeutet heute mehr, als etwas Technik auf ein Problem zu werfen. Ansätze, die in den frühen Jahren des digitalen Handels noch gut funktionierten, sind mittlerweile veraltet. Das merken Händler und Hersteller.
Meilensteine des digitalen Handels
Fast 40 Jahre sind seit der Demonstration des ersten Online Shopping Systems [1] von Michael Aldrich vergangen. Das System nutzte das Videotex-System eines umgebauten TV-Geräts und die Kommunikation erfolgte über die Telefonleitung. Etwa 10 Jahre später hatte die Firma CompuServe einen großen Auftritt mit ihrer “Electronic Mall” ([2], siehe Video), einem Text-basierten Einkaufssystem. Während diese Meilensteine als Grundpfeiler für elektronischen Handel ausgelegt werden können, kam der große Durchbruch eher zu Zeiten des öffentlich verfügbaren Internets und den bald startenden Angeboten von books.com, Amazon und eBay Mitte der 1990er.
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Neben diesen frühen Online Pure Playern erkannten dann auch zunehmend mehr traditionelle Händler die Notwendigkeit dieses weiteren Verkaufskanals: ein eigener Shop im Internet. Die Umsetzung erfolgte als eigenes IT-System und wurde dem ERP-System untergeordnet, welches die zentrale Rolle spielte.
Auch wenn sich das Bild in der Folge änderte und die Shop-Software zunehmend mehr Anforderungen abdeckte als das ERP, so sind beide Modelle geprägt durch zwei extrem schwergewichtige monolithische Systeme. Diese IT-Architektur hat bislang für viele Unternehmen gut funktioniert, zumal mit viel Aufwand auch aufkommende Trends integriert oder umgesetzt werden konnten.
Probleme in der Gegenwart
Auf Dauer können diese Architekturen aber auch zu schwer wart- und erweiterbaren Systemen führen. Ein zu beobachtendes Symptom ist dabei die kontinuierlich ansteigende Time to Market, also der Zeit für die Einführung neuer Features. Gleiches trifft auch für die Beseitigung von Fehlern zu. Damit sinkt die Wettbewerbsfähigkeit und die Kosten steigen aufgrund des Mehraufwands.
Der Einsatz monolithischer Standard-Software kann darüber hinaus auch starken Einfluss auf das Unternehmen selbst bzw. die internen Prozesse haben. Das liegt darin begründet, dass diese Systeme versuchen, allen Eventualitäten gerecht zu werden, und dabei einen aus ihrer Sicht allgemeingültigen Weg wählen. Letztlich ist dieses Vorgehen aber ein Kompromiss, der zu nicht änderbaren Eigenheiten führt und somit mitunter zu einer Unterordnung der Unternehmensprozesse gegenüber dieser Software. Werden geschäftliche Entscheidungen dann beeinflußt durch solche bestehenden Systeme getroffen, so mutieren diese ursprünglich als Unterstützung dienenden Systeme zu harten Rahmenbedingungen oder sogar Stolpersteinen. Und geschäftliche Entscheidungen wirken sich in der Folge auf die technische Umsetzung aus. In der Technik wird dann häufig vom “Workaround” gesprochen - ein Wort dass den Umstand gut beschreibt: »Eigentlich sollte man das vernünftig lösen, aber unter den Voraussetzungen geht es nicht anders.« Je mehr solcher standardisierten Einzel-Systeme im Einsatz sind, desto mehr Limitierungen in den Entscheidungen und Vorgaben für die Entwicklung gibt es.
Ein Grund für diese Entwicklung waren mitunter die unterschiedlich geprägten Sichtweisen auf die weitere Entwicklung des gesamten Themas Digitalisierung des Handels. Auf der einen Seite standen Händler, die das Internet – ähnlich wie die Politik – wohl für eine vorübergehende Erscheinung hielten. Immerhin formulierte noch 2013 die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den denkwürdigen Satz: “Das Internet ist für uns alle Neuland.” Dem gegenüber standen relativ früh auch Prognosen über ein Ladensterben in den (bis heute noch) belebten Innenstädten und Einkaufszentren. Beides führte zu einer Trennung der Verkaufskanäle:
Filialen, die über Kassensysteme verfügen, bei denen allerdings an der Integration von Kundendaten und Bestellinformationen für eine personalisierte Beratung fehlt.
Katalog-Versandhandel und Bestellungen via Telefon, Brief oder Fax, bei denen man relativ früh über Unterstützung aus der IT verfügte. Jeder Verkauf wurde mit einem Kunden (natürliche oder juristische Person) assoziiert.
Online-Shops, die über ein autonomes System abgewickelt werden, mit separater Datenhaltung (Kunden, Bestellungen).
MultiChannel vs. OmniChannel
Die Nutzung mehrerer, voneinander getrennter Verkaufskanäle bezeichnet man dabei als MultiChannel und dies ist nach wie vor gängig. Alternative Marketing-Modelle stellen die Interaktion zwischen den Kanälen in den Vordergrund, so dass Kunden keinen bzw. einen weniger starken Bruch ihres Einkaufserlebnisses merken. Bei einer vollständigen Vernetzung aller Verkaufskanäle spricht man von OmniChannel. Die Umsetzung einer solchen Strategie kann bei den alten Strukturen allerdings sehr aufwendig werden. Deutlich wird hierbei auch: Vorhersagen in Bezug auf die Veränderung des Konsumverhaltens sind sehr unsicher. Unternehmen müssen aber auf Entwicklungen reagieren können und sollten daher flexibel bleiben.
Neue Herausforderungen
Nicht nur die Betrachtung der Umsatz-Entwicklung (siehe [3]) zeigt, dass viel Bewegung im Markt ist: auf der einen Seite treiben einige Unternehmen den digitalen Handel mit neuer Technik stark an und ändern damit die Parameter für den Erfolg. Die Integration der relevanten Marketing-Kanäle oder etwa die Personalisierung von Inhalten sind heutzutage Standard-Features.
Die Analysten von Gartner (vgl. “Magic Quadrant for Digital Commerce”, [4]) sehen vor allem zwei große Entwicklungen in den nächsten Jahren:
- Commerce Everywhere: Der digitale Handel rückt näher zum Kunden. Das Thema hat schon früh Fahrt aufgenommen, durch die Nutzung von Handys / Tablets und der damit verbundenen Nutzung mobiler Varianten der Shops oder nativer Applikationen. Amazon hat aktuell zwei Anwendungen in diesem Bereich, die das Shopping-Erlebnis deutlich einfacher machen sollen: der “Dash Button” erleichtert das Nachkaufen eines bestimmten Produkts auf Knopfdruck, während “Amazon Echo” ein vielseitig einsetzbares System bestehend aus Mikrofon und Lautsprecher ist. Mittels Sprachsteuerung können Einkaufslisten befüllt und bestellt werden - eine sehr fortschrittliche Version des Conversational Commerce, das seinen Ursprung in der Interaktion durch Messenger (WhatsApp und Co.) hat. Solche kleinen IT-Systeme stecken heute in sehr vielen Geräten und deren Nutzung für Einkaufszwecke wird stark anwachsen.
- Künstliche Intelligenz: Das Ziel der Nutzung künstlicher Intelligenz ist es, künftig bessere personalisierte Inhalte bieten zu können. Das sind unter anderem Conversational Commerce Lösungen, etwa Messaging Bots oder sprachgesteuerte Geräte wie das oben erwähnte “Amazon Echo”. Auch der selbst bestellende Kühlschrank könnte in der Realität nutzbar werden und Einkaufslisten anhand von Rezepten und vorhandenen Zutaten generieren.
Auf Umdenken folgt Umstrukturierung
Durch die zunehmende Digitalisierung der Menschheit und die stärkere Nutzung sozialer Medien verschieben sich die Schwerpunkte der Loyalität. Die klassische Kundenbindung gegenüber Händlern nimmt dabei ab. Durch das große Angebot an Online-Händlern ist der Kunde in einer sehr komfortablen Situation. Kunden werden nicht mehr durch die lokale Nähe (wie zu Zeiten vor dem Internet) oder eine kleine Auswahl an eCommerce-Händlern (wie in den Anfängen des Online-Handels) eingeschränkt. Man hat die freie Wahl und sucht sich nach verschiedenen Parametern den Händler des Vertrauens. Einige sehr erfolgreiche Händler begegnen den Kunden bereits in ihren Komfort-Zonen. Das fördert - wie im Fall der vorgestellten Commerce Everywhere Lösungen - die Bindung des Kunden. Dahinter steckt ein neuer Ansatz: die Abkehr von der Optimierung einzelner Absatzkanäle, die häufig eins zu eins als Unternehmens-Bereiche abgebildet sind.
Die neue Orientierung heißt Kundenzentrierung und legt den Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden. Bestätigt wird dies durch den Trend zur noch ausgeprägteren Individualisierung (vgl. [5]) des Angebots. Kundenzentrierung erfordert allerdings dann nicht nur ein Umdenken, sondern auch eine Umstrukturierung des Unternehmens. Ein bewährtes Mittel ist die Ausrichtung anhand der Customer Journey. Der Begriff bezeichnet die Reiseroute der Kunden bzw. definierter Zielgruppen und markiert dabei die Berührungspunkte mit Unternehmen, Marke oder Produkt. Eine positive Wahrnehmung an diesen Berührungspunkten schafft Prestige und Vertrauen. Eine wichtige Basis für eine langfristige Geschäftsbeziehung, die auch nach einem Kauf aufrecht erhalten werden sollte. Die IT ist in diesem Modell nicht länger ein Dienstleister innerhalb des Unternehmens, sondern akzeptierter Teil der Wertschöpfungskette.
Links & Quellen
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http://www.aldricharchive.com/internet_online_shopping.html ↩
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https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3979/umfrage/e-commerce-umsatz-in-deutschland-seit-1999/ ↩
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https://www.gartner.com/doc/3877477/magic-quadrant-digital-commerce ↩
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https://www.kanal-egal.de/e-commerce-strategie-was-unternehmen-2018-beruecksichtigen-muessen/ ↩